Mai 2023

Lange Heimreise

Montag, 22. Mai

Das monotone Brummen der Schiffsmotoren hat eine beruhigende Wirkung, und so schlafen wir recht gut in unserer Koje. Und erwachen, als die italienische Küste schon fast in Sichtweite ist.

Wir legen kurz vor acht, also pünktlich, am Hafen in Bari an. Bis wir die Fähre verlassen können, vergeht allerdings noch eine gute Stunde. Uns kümmerts nicht, denn wir haben in weiser Voraussicht Tickets für den 11Uhr-Zug gebucht. Wir haben sogar noch Zeit für einen gemütlichen Spaziergang durch die Altstadt,

und für einen Kaffee und etwas Süsses – daran haben wir uns in Albanien gewöhnt – in einem Strassencafé.

In den letzten Tagen haben wir immer wieder die Website von Trenitalia aufgerufen und geschaut, wie viel Verspätung die Züge auf „unseren“ Linien jeweils hatten. Es war ganz unterschiedlich… Wir hoffen sehr, dass wir unsere Anschlüsse in Rom und Milano nicht verpassen und irgendwo stranden. Wenn alles gutgeht, können wir um 22.30 Uhr in Zuchwil sein.

In Bari siehts schon mal gut aus; der Zug hat einige Minuten Verspätung, aber wir sind guten Mutes, dass wir rechtzeitig in Rom ankommen.

Auf der Fahrt erleben wir – ausser Schneefall – so ziemlich jedes Wetter. Vor allem, als wir in der Nähe von Neapel sind, scheint die Welt unterzugehen. Der Himmel ist schwarzgrau, und es schüttet wie aus Kübeln.

Aber schon kurz darauf scheint wieder die Sonne, und unser Zug rast mit atemberaubender Geschwindigkeit in Richtung Rom.

So kommen wir tatsächlich rechtzeitig an und setzen uns erleichtert in den Zug Richtung Mailand. Jetzt kann ja nicht mehr viel schiefgehen – selbst wenn wir in Mailand hängenbleiben sollten, sind wir morgen in relativ kurzer Zeit daheim.

In unserem Abteil sitzt ein junger Mann. Er wirkt unglaublich nervös, und seine Begleiterin nötigt er in ein anderes Abteil.

Er legt seinen Rucksack auf den freien Sitz vis-à-vis, isst eine Unmenge Chips, schaut sich immer wieder um. Und steht plötzlich auf und ist – weg. Den Rucksack nimmt er nicht mit.

Sekunden später kommen Beamte in den Wagen, Kondukteure oder Polizei? Wir schielen zum Rucksack des jungen Mannes und fragen uns, was wäre, wenn die Beamten das Ding öffnen würden und zum Beispiel Drogen finden würden. Würden sie den Sack uns zuordnen? Würden sie uns glauben, dass er uns nicht gehört?

Die Beamten interessieren sich nicht für den Rucksack, und als sie weg sind, taucht der junge Mann wieder auf, nimmt den Sack und verschwindet wieder.

Immerhin, eine kleine Abwechslung auf der langen Reise.

Und sie ist sehr lang, unsere Zugfahrt. Immerhin, wir sind pünktlich unterwegs, und in Mailand haben wir fast eine Stunde „Schpatzig“.

Kurz vor Mailand beginnt es zu harzen. Wir stehen fünf Minuten. Dann gehts weiter, vielleicht 500 Meter. Dann stehen wir wieder. Zehn Minuten. Unser Zeitpolster schmilzt. Einer Durchsage können wir entnehmen, der Lokführer warte auf die Genehmigung, in den Bahnhof einzufahren.

Wir werden langsam nervös.

Da fährt der Zug wieder los, schon kommen Perrons in Sicht. Wir haben die Rucksäcke geschultert, stehen im Gang, bereit, loszuspurten, wenns denn nötig würde.

Da bremst der Zug wieder. und bleibt stehen, ein, zwei Kilometer vor Milano Centrale. Und bewegt sich keinen Millimeter mehr, ziemlich genau so lang, bis unser Zug Richtung Locarno abgefahren ist.

Als wir endlich angekommen sind, hoffen wir, dass der Zug wartet – in der Schweiz kommt das jedenfalls öfters vor – drängeln raus, rennen im Zickzack zwischen den Menschenmassen aufs Perron. Natürlich ist unser Zug längst weg. Und ich bekomme einen veritablen Wutanfall. Das darf doch einfach nicht wahr sein! Hueresiech!!!

Kaum sind wir ein paar Stunden weg von Albanien, ist es schon vorbei mit der albanischen Gelassenheit. Vier Wochen lang konnte mich nichts und niemand – ausser ein paar Hunden – aus der Ruhe bringen. Aber Trenitalia schaffts mit links.

Immerhin, es gibt noch einen Zug, der uns noch heute Abend nach Hause bringen kann. Es wird halt viel später, und das stinkt mir gewaltig. Aber was solls.

Wir kaufen uns zwei kleine Fläschchen Prosecco und eine Tüte Chips und machen es uns bei den Geleisen bequem. Und schauen dem Treiben um uns zu.

Da sind zwei Polizisten, sie kontrollieren die Ausweise eines völlig harmlos aussehenden älteren Paars, sicher Touristen. Wir wundern uns; warum hat die Polizei gerade die zwei herausgepickt?

Jedenfalls werden die beiden nicht verhaftet, die Polizisten gehen weiter. Und kommen schnurstracks auf uns zu! Wollen unsere Ausweise sehen! Ich bin baff, grüble aber brav meine ID aus dem Rucksack und zeige sie den Beamten. Sie bedanken sich höflich und gehen weiter.

Neben uns hat sich eine Gruppe Schwarzafrikaner niedergelassen. Die Polizisten marschieren an ihnen vorbei, ohne Notiz von ihnen zu nehmen. Sie kontrollieren sie nicht!

In dem Moment werden uns die beiden Beamten total sympathisch. Normalerweise wärs doch umgekehrt, dunkelhäutige Menschen werden misstrauisch beäugt und kontrolliert. Hier hat es die Polizei auf weisshhaarige Touristen abgesehen. So cool!

Endlich sitzen wir im Zug in die Schweiz. In Lugano steigen wir um und können bis Olten sitzen bleiben.

Da haben wir offenbar einen der älteren Züge erwischt. Die Steckdosen liefern keinen Strom, ein Fahrgast mit einem fast leeren Handy rennt verzweifelt von Steckdose zu Steckdose. Die Kondukteure – gleich drei fahren mit – entschuldigen sich wortreich.

Dann fängt das Licht an, verrückt zu spielen. Es leuchtet auf, löscht. Leuchtet auf, löscht.

Unaufhörlich. Nervig.

Die Kondukteure versuchen alles mögliche. Vergeblich. Bis einer auf die Idee kommt, die Notbeleuchtung einzuschalten. Nun haben wir zwar kaum noch Licht, aber alles ist besser als das Geblinke.

Olten. Ein letztes Mal umsteigen.

Um viertel nach eins kommen wir in Solothurn an. Fix und fertig.

Das einzige Taxi am Bahnhof schnappt uns jemand vor der Nase weg. Dann gehen wir halt zu Fuss nach Hause.

Geschafft. Todmüde. Aber egal: Wir sind zu Hause. finden sogar einen Willkommensgruss auf dem Küchentisch, von Marianne und Christoph.

So lieb!

Flora und Fauna

Die Fauna verschwindet meistens bevor wir das Handy gezückt haben. Ein grosser Fuchs, eine schnelle Schlange und diverse Eidechsen und Frösche sind bis jetzt mit uns am Wegesrand oder quer darüber gehüpft, gesprungen oder geflohen.

In Albanien gibt es viel viel mehr Vögel als bei uns, manchmal ist ihr Gesang ohrenbetäubend.

Am häufigsten ist die Nachtigall.

Trauerbock

Rosenkäfer

Imker am Beurteilen

Heiliger Pillendreher oder Scarabaeus

Wilde Tulpe

Salbeiblättrige Zistrose

Buntschopf-Salbei

Calendula

Die Hornotter

Skorpiöndli

Mirupafshim Shqipëria!

Sonntag, 21. Mai

Heute gilt es, von Albanien Abschied zu nehmen. Es fühlt sich irgendwie unwirklich an. Und, dass wir im besten Fall bereits morgen Abend wieder am Veieliwäg sein sollen, liegt jenseits unserer Vorstellungskraft.

Wie auch immer – wir spazieren ein letztes Mal durchs beschauliche Berat, wo im Park wie jeden Tag eine Traube ältere Herren zwei Schachspielern zuschaut,

blicken ein letztes Mal zurück auf die „tausend Fenster“

und kommen um 11.15 Uhr am Busterminal an. Viel zu früh – laut Fahrplan fährt der Bus nach Durrës erst um 11.50 Uhr.

Als wir den richtigen Bus finden, informiert uns der Fahrer, er fahre bereits um 11.30 Uhr – das ist mal was Neues. Dass sie später fahren, daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Aber 20 Minuten früher…

uns solls recht sein. Und so sitzen wir schon kurz darauf im Bus und tuckern Richtung Durrës.

Dass wir tuckern, ist uns übrigens ganz recht. Wenn der Fahrer Gas gibt, fängt nämlich so einiges zu scheppern an, so dass wir fürchten müssen, der Bus falle jeden Moment auseimander.

Dass Autofahrer – und damit auch Bus- und Taxichauffeure – während der Fahrt telefonieren, ist in Albanien so selbstverständlich wie zu atmen. Wenn ich daran zurückdenke, wie unser Taxichauffeur auf der Fahrt nach Bogovë wild gestikulierend mit dem Handy am Ohr einen grossen Lastwagen überholte – und dies auf einer schmalen, kurvenreichen Bergstrasse – wird mir im Nachhinein ganz flau im Magen.

Aber in dem Moment, als wir im Taxi sassen, hatten wir volles Vertrauen in den Mann. Er weiss, was drinliegt, schliesslich liegt ihm sein Auto (und vielleicht auch sein Leben) sehr am Herzen.

Und genauso ist es jetzt im Bus nach Durrës. Der Chauffeur weiss, was er tut, auch wenn sich das eine oder andere Manöver – mit Handy am Ohr – etwas riskant anfühlt.

Wir vertrauen ihm zu Recht; wir kommen wohlbehalten in Durrës an. Der Furgon hält etwas ausserhalb, der Stadtbus bringt uns ins Zentrum.

und dann heisst es: warten.

Durres ist keine wahnsinnig attraktive Stadt. Sie ist halt gross, mit vielen alten Wohnblocks.

Mit vielen Kabeln.

Und mit vielen Leuten. Irgendwie haben wir das Gefühl, überall im Weg zu stehen.

Am Meer hat man mehr Luft, da ist eine grosse Fussgängerzone, und es wurde wohl auch viel investiert in Grünflächen, Cafés, Hotels und Restaurants. Aber es ist alles etwas in die Jahre gekommen. Viele Lokale sind inzwischen wieder geschlossen, vieles rostet oder blättert vor sich hin. Und der Strand wirkt unappetitlich, da wird viel braun-schwarzes Zeug angeschwemmt.

Wir besichtigen noch ein paar römische und byzanthinische Ruinen, aber eigentlich wollen wir möglichst bald auf die Fähre. Durrës ist einfach kein Ort zum Bleiben.

Endlich ist es Abend, wir checken ein und beziehen unsere Kabine – eine Viererkabine für uns zwei, also recht grosszügig.

Und schliesslich. mit anderthalb Stunden Verspätung, legen wir ab.

Mirupafshim Shqipëria – auf Wiedersehen, Albanien!

Ragwurz-Land

Während es in der Schweiz schon beinahe einer Sensation gleichkommt, wenn man eine Ragwurz findet, also eine Orchidee, die ein Insekt imitiert, wachsen sie in Albanien schon fast wie Unkraut.

Und wir sind zur richtigen Jahreszeit unterwegs, um verschiedenste Arten in voller Blüte zu entdecken.

Bienen-Ragwurz

Gelbe Ragwurz

Schwarze Ragwurz

Schnepfen-Ragwurz

Spinnen-Ragwurz oder Oster-Ragwurz

Nabel-Ragwurz

Bremsen-Ragwurz

Eine Garantie, dass die Namen stimmen, übernehmen wir lieber nicht – die Unterschiede sind oft marginal, und es braucht ein grosses Wissen, um die Arten zweifelsfrei bestimmen zu können.

So oder so: Sie sind alle faszinierend, umd wir freuen uns über jede Pflanze, die wir entdecken!

Wie kommen wir nach Hause?

Samstag, 20. Mai

Wir spazieren nochmals hoch zum Kiefernwald, wo wir schon vorgestern waren. Und wo es, ganz nah bei der Stadt, so wunderbar ruhig ist. Quasi zum Abschied kreuzt nochmals eine grosse, fette Schlange unseren Weg, und die Nachtigall lässt nochmals ihr ganzes Repertoire erklingen.

Wir werden sie vermissen, wie auch die Blumenwiesen, die botanischen Kostbarkeiten und die tanzenden Schmetterlinge.

Als wir oben ankommen und uns auf eine alte Mauer setzem, erreicht uns eine SMS von Trenitalia, die uns mitteilen, unser Zug, der uns am Montag hätte von Ancona nach Bologna bringen sollen, werde wegen der Hochwassersituation in der Region Ravenna-Rimini nicht fahren.

Was nun?

Wir haben ja schon damit gerechnet, seit Anfang Woche mehrere Unwetter über der Region niedergegangen waren und es wegen der Überschwemmungen Todesopfer gegeben hatte. So trifft uns die Nachricht nicht unvorbereitet.

Wir nutzen die Pause im Wald, um die verschiedenen Alternativen aufzulisten, die uns machbar erscheinen.

Von Ancona über Perugia – Pisa – Genua fahren?

Oder von Ancona aus „retour“ nach Rom und von da aus über Florenz nach Bologna?

Oder anstelle der Fähre nach Ancona jene nach Bari nehmen und von da aus über Rom nach Bologna fahren?

Oder gar einen Flug buchen? Aber von wo aus?

Schliesslich schreiben wir eine Mail an den Betreiber der Fähren und erkundigen uns, ob wir die Fähre umbuchen können. Und beschliessen, erst mal abzuwarten und uns in albanischer Gelassenheit zu üben.

Und als wir zurück in der Stadt sind, erhalten wir bereits die Bestätigung, wir könnten die Fähre nach Bari nehmen. Also buchen wir auch gleich die Züge nach Rom, dann nach Bologna, Mailand und schliesslich in die Schweiz.

Mit ein bisschen Glück kommen wir am Dienstag kurz nach Mitternacht in Zuchu an.

Mal sehen.

Allerlei „Schutzengel“

Unser Schutzengel ist en kleiner Buddha aus Messing. Es fühlt sich gut an, ihn dabeizuhaben, und an besonders schönen Orten darf er auch mit aufs Foto.

In Albanien treffen wir auf viele „Schutzengel“. Allerdings nicht auf Buddhas. Oft sind es Plüschtiere oder Puppen, die die Häuser und Gärten bewachen.

Auch „gefallene Engel“ gibts.

Aber auch Knoblauch (der durchaus aus Plastik sein darf) und das Nazar-Amulett werden aufgehängt, um das Böse abzuwenden.

…oder tierische Talismane…

Bei dieser Gestalt waren wir uns nicht sicher, ob es sich um einen Schutzengel oder eine Vogelscheuche handelt.

Für uns sind all diese Glücksbringer gewöhnungsbedürftig und muten oft gruselig an. Aber wenns hilft…

Sonne pur

Freitag, 19. Mai

Heute soll es sommerlich warm werden. Zum ersten Mal seit mindestens zwei Wochen versprechen die Wetterprognosen einen Tag ohne Regen!

Wir wandern an der Burg von Berat vorbei in die umliegenden Hügel, und es ist wirklich heiss. Wir merken: Wir können froh sein, dass in den letzten Tagen das Wetter eher durchzogen war – mit ein wenig Wolken und Wind läuft es sich viel angenehmer!

Viel Spektakuläres gibts von der heutigen Wanderung nicht zu berichten.

Wir spazieren auf einer schönen alten Strasse, geniessen die Natur,

sehen eine junge Schildkröte,

ein paar verfallene Betonbauten – vielleicht atypische Hoxha-Bunker?

und eine Kirche, die offensichtlich neu gebaut wird, irgendwo im „Nichts“. Wie ihre Erbauer wohl gerade auf diesen Standort gekommen sind?

Und: Seit wir immer mit einem Stock ausgerüstet sind und den Pfefferspray „im Anschlag“ haben, haben wir keine wirklich brenzligen Situationen mit Hunden mehr erlebt!

Albanische Gastfreundschaft

Donnerstag, 18. Mai

Eigentlich wollten wir heute Richtung Berat weiterwandern. Aber nachdem wir gestern erlebten, wie langweilig es sein kann, durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet zu wanderm, überlegen wir es uns anders. Die heutige und morgige Etappe würde uns nämlich grösstenteils durch Olivenplantagen führen.

Deshalb fahren wir mit dem Bus nach Berat zurück, um die Umgebung der Stadt noch erwas näher zu erkunden. Es werden wohl eher kürzere Wanderungen sein, die wir bis zu unserer Heimreise noch machen. So können wir unseren Albanien-Urlaub „chli lo usplampe“.

Kurz vor Mittag steigen wir in einem der alten Stadtteile hoch, finden einen schmalen Pfad, der steil hinauf führt, und kommen so schnell ins Grüne oberhalb der Stadt. Von hier aus hat man einen schönen Blick auf die Unesco-geschützten Häuser von Berat.

Dann gehts ein paar Meter um den Hügel herum, und auf einmal wird es wunderbar still. Kein Strassen- und Stadtlärm mehr, nur noch das Gezwitscher der Vögel.

Wir wandern durch eimen Kiefernwald, über Blumenwiesen – wir geniessen die Natur und die Einsamkeit.

und wir begegnen, wie meist auf solchen Wanderungen, keinem Menschen.

Kurz vor dem nächsten Dorf erschrecken uns drei Hunde – aber zwei sind angekettet, und der dritte ist glücklicherweise ein Feigling, der erst zu bellen anfängt, als wir längst bei ihm durch sind.

Schon länger haben wir Donnergrollen gehört, nun fängt es tatsächlich an zu regnen. Rasch holen wir unsere Pelerinen hervor, streifen sie über (was einfacher klingt als es ist – man könnte verzweifeln, bis man endlich den richtigen „Ausgang“ für den Kopf und die Arme findet), und machen auch gleich ein Erinnerungs-Selfie.

und schon hört es wieder auf zu regnen, und wir können die Pelerinen wieder wegpacken.

Immerhin können wir jetzt sagen, wir hätten sie nicht umsonst nach Albanien mitgenommen!

Nun kommen wir endlich ins Dorf. Auf dem Balkon eines der ersten Häuser stehen Leute, wir winken und rufen „Pershendetje“. Sie winken zurück, rufen etwas auf Albanisch, und als sie merken, dass wir sie nicht verstehen, „Guten Tag“!

Wir bleiben verdutzt stehen. Auf deutsch angesprochen zu werden, das haben wir nicht erwartet.

„Möchten Sie einen Kaffee oder ein Glas Wasser?“ tönt es vom Balkon. Und eine halbe Minute später stehen wir oben und werden aufs herzlichste begrüsst.

Es ist ein junges Paar, das in Deutschland wohnt und arbeitet, und das nun bei den Eltern zu Besuch ist. Die ganze Familie kommt auf den Balkon, um uns willkommen zu heissen; Getränke, frisch gepflückte Kirschen und Schokolade werden aufgetischt. Es gibt viel zu fragen und zu erzählen – und wir dürfen die albanische Gastfreundschaft erleben und geniessen.

Natürlich darf auch ein Erinnerungsfoto nicht fehlen, bevor wir beschwingt weiterziehen.

Diese Begegnung war ein echtes Highlight.

Und, als wir zurück in Berat sind, begrüsst uns ein leuchtender Regenbogen. So schön!

Wetterglück – einmal mehr

Mittwoch, 17. Mai

Heute schultern wir wieder einmal die schweren Rucksäcke. Es geht von Bogovë hoch zum Fuss des Bergs Tomorr und dann wieder runter nach Poliçan, wo wir bei „My Appartements“ ein Zimmer reserviert haben.

Kaum sind wir unterwegs, stehen auf einmal zwei riesige Hunde neben Reto – als hätten sie sich dort gerade materialisiert. Mit einem scheuen Hundeblick schauen sie zu Reto auf. Es kommt uns vor, als wollten sie sich für das unflätige Benehmen ihres Kollegen gestern entschuldigen.

Sie begleiten uns noch eine kurze Strecke. Solche Beschützer hat man immer gern um sich!

Der erste Teil des Wegs ist wenig attraktiv. Wir gehen auf einer Naturstrasse, die von etlichen Lastwagen befahren wird. Diese bringen Steinplatten von einem Steinbruch ins Tal. Die Platten werden vielerorts zum Pflästern der Strassen und Trottoirs verwendet.

In den Kurven liegen immer wieder Haufen von solchen Platten; sie sind wohl vom Lastwagen gefallen, wenn dieser zu schnell um die Kurve fuhr.

Da oben werden die Platten abgebaut.

Der Weg ist etwas langweilig, oft steil, und wir kommen gewaltig ins Schwitzen. Aber die Aussicht von hier oben ist sehr schön.

Mit Hunden haben wir heute keinen Ärger, auch in den zwei, drei Dörfern nicht, durch die wir wandern.

Die Dorfbewohner sind auf den Feldern und arbeiten. Und alle nehmen sich Zeit für einen kleinen Schwatz, auch wenn die Kommunikation schwierig ist. Offenbar sprechen viele Leute hier ein wenig italienisch, aber englisch spricht niemand.

An der Dorfstrasse von Borgullas.

Etwas abseits des Dorfes, bei den Überresten des Unabhängigkeitsdenkmals, machen wir Mittagspause.

In der Nähe steht ein Grabmal – oder ein ganzer Friedhof? Als wir näherkommen, entpuppt sich das Ding als Denkmal – für Abaz Aliu, einen schiitischen Märtyrer aus dem 7. Jahrhundert n. Chr.

Ein Märtyrer mit Napoleon-Allüren.

Oder umgekehrt – schliesslich lebte Aliu lange vor Napoleon.

Eine Türbe (eine Art Kapelle?) für Abaz Aliu steht auf dem Berg Tomorr, an dessen Fuss wir uns befinden. Scheints ist sie ein wichtiger Pilgerort für die Bektaschi, ein islamisch-alevitischer Derwischorden auf dem Balkan.

Aber diese Türbe auch zu besuchen, ist uns zu anstrengend. Rund 14 Kilometer Weg und 1700 Höhenmeter trennen uns von ihm.

Als wir beim Zmittag sitzen und um uns blicken, realisieren wir, wie viel Glück wir heute haben. Vor uns, Richtung Poliçan, hängen dunkle Wolken, und wir sehen, dass es wenige Kilometer von uns entfernt regnet.

Rechts hinter uns ist der Tomorr, wolkenverhangen. auch dort regnets. Und links hinter uns… das selbe Bild.

Und wir? Sitzen im Sonnenschein, über uns ist der Himmel strahlend blau. Besser könnte es nicht sein!

Und nun, zum Dessert, kommt der schönste Abschnitt unserer Wanderung, wir gehen auf einem uralten Weg Richtung Poliçan.

und erst, als wir schon beinahe in der Stadt sind, fängt es ganz zaghaft an zu regnen. So, als wollte Petrus uns sagen, er könnte im Fall auch anders…

Poliçan ist eigentlich ein Dorf, besteht aber fast nur aus (alten) Wohnblocks. Und am Rand des Ortes steht ein riesiges ehemaliges Fabrikareal.

Von Wikipedia erfahren wir, dass dies zu Hoxhas Zeiten eine Waffenfabrik war, und dass das Dorf um 1960 eigens dafür gegründet wurde.

Deshalb sind auch die meisten Wohnblocks etwa gleich alt.

Was uns erstaunt: Das sonst wenig attraktive Dorf verfügt über ein autofreies Zentrum, eine Art Berat-Flaniermeile im Kleinformat. Mit Beizen, Bäumen, Bänkli, Spielplatz… richtig gemütlich!

Nach einem Kaffee in einem der Beizli machen wir uns auf die Suche nach unserer Bleibe.

In Albanien sind unpräzise Adressangaben an der Tagesordnung. Das Hotel von gestern hatte zum Beispiel die Adresse: Unnamed Road, 4504 Albania.

Heute haben wir immerhin einen Strassennamen. Aber die Strasse ist lang.

Wir fangen „oben“ an. Und haben die Info, dass beim Appartement jemand auf uns warte.

Auf der anderen Strassenseite sitzt eine Frau auf einer Bank. Sie beobachtet uns aufmerksam. Winkt uns dann, deutet auf einen der Wohnblocks und hält drei Finger in die Luft.

Hier, der linke Eingang. Drei Finger, dritter Stock.

Sie selbst macht keine Anstalten, herzukommen. Sie ist offensichtlich nicht die Person, die uns die Wohnung übergeben soll.

Wir steigen die Treppe hoch. Im ersten Stock steht ein älterer Mann vor seiner Wohnung. Sagt:“Hotel“ und deutet nach oben.

Im dritten Stock ist niemand. Vor jeder Wohnungstür stehen Schuhe. Welche soll nun unsere sein? Wir schauen aus einem der „Fensterlöcher“ im Freilufttreppenhaus zur Frau auf der Bank. Sie schüttelt den Kopf, zeigt nach unten. Falsches Stockwerk.

Also einen Stock runter, Kontrollblick zur Bänkli-Frau. Sie reckt den Daumen in die Höhe.

Nur: Auch hier ist niemand. Die Bänkli-Frau bedeutet uns, wir sollen klopfen. Wir gehorchen, klopfen an ein paar Türen. Eine öffnet sich, eine Frau kommt heraus. „Hotel?“ Sie zeigt auf eine weisse Tür. Diese ist verschlossen. Wir klopfen. Nichts.

Auf unsere ratlose Geste zur Bänkli-Frau hin setzt sich diese in Bewegung. Offenbar geht sie die verantwortliche Person suchen. Kommt allein zurück.

Ich habe ja eine Telefonnummer, rufe da an. Eine Männerstimme sagt erwas in unverständlichem Englisch. Ich nehme an, er hat gesagt, er komme gleich, und wir setzen uns auf eine Bank vor dem Haus.

Zehn Minuten, zwanzig Minuten… es kommen etliche Personen vorbei, aber niemand nimmt Notiz von uns. Nur ein kleiner Junge versucht hartnäckig, mit uns ins Gespräch zu kommen, redet aber nur albanisch.

Ein etwas verschüpft wirkender junger Mann drückt sich an uns vorbei, geht in „unseren“ Wohnblock. Der wirds ja wohl nicht sein, der hätte doch etwas gesagt!

Oder doch? Ich steige wieder hoch in den zweiten Stock – und die weisse Tür steht einen Spalt offen.

Es war doch der Verschüpfte. Aber ausser dastehen und ratlos dreinschauen tut er nichts. Irgendwann kann er mir über Google Translate mitteilen, seine Mutter komme gleich.

Immerhin ist nun die Tür zum „Appartement“ – ein winziges Zimmer – offen.

Wir hieven unsere Rucksäcke rein, ich den meinen mit tatkräftiger Hilfe des kleinen Buben, der wie eine Klette an uns hängt. Erst, als Reto ihm ein 50-Lekë-Sück in die Hand drückt, beschliesst der Kleine, seine Mission sei nun etfüllt, und er verabschiedet sich.

Nun ist die Mutter des Verschüpften eingetroffen. Sie komme vom Berg Tomorr, erklärt sie mit Gesten und Hilfe des Handys und zeigt auf ihre dreckigen Schuhe. Vielleicht hat sie da ihren Garten? Einen Acker? Was auch immer.

Auf jeden Fall wird nun alles klar. Sie zeigt uns das Zimmer, das wir schon bezogen haben, wir bezahlen, sie sagt, wir sollen morgen den Schlüssel einfach dort in die Waschmaschine legen – und weg ist sie.

Die Rückansicht „unseres“ Blocks, hinter dem kleinen Haus.

Aggressive Hunde, giftige Schlangen

Dienstag, 16. Mai

Gestern haben wir noch überlegt, ob wir auch die nächsten Tage in Berat übernachten und jeweils mit dem Taxi oder einem Furgon rausfahren, irgendwo wandern und am Abend wieder zurückkommen sollen.

Der Vorteil wäre, dass wir die schweren Rucksäcke im Hotel lassen und mit leichtem Gepäck unterwegs sein könnten.

Am Busterminal wollten wir uns informieren, wann welcher Bus wohin fährt. Aber das ist schwierig, auf der Tafel mit dem „Fahrplan“ sind nur die weiter entfernten Orte aufgeführt.

Nur noch zwei Taxifahrer waren beim Terminal – ab dem späten Nachmittag fahren scheinbar keine Busse mehr.

Sie sagten uns, in die Dörfer, in die wir wollten, würden keine Busse fahren.

Ok.

– Wenn wir nun mit dem Taxi beispielsweise nach Corovodë (ca 55 km entfernt) fahren würden, was würde das kosten?

– 40 Euro.

– Und wenn wir dann tagsüber rund 15 km Richtung Berat wandern und ihn dann anrufen, damit er uns dort abholt?

– Insgesamt 100 Euro.

– 100 Euro? Aber der Ort am Abend liegt 15 km näher. Dann müsste die zweite Strecke doch billiger sein.

– Nein. Insgesamt 100 Euro.

Offenbar rechnet man in Albanien anders. Und wir haben unsern Plan verworfen.

Stattdessen nehmen wir heute ein Taxi in ein kleines Dorf vor Corovodë (30 Euro), machen dort eine Rundwanderung und übernachten in einem Hotel. Ab morgen wandern wir dann etappenweise Richtung Berat, wo wir wahrscheinlich am Freitag wieder ankommen werden.

Auf der Fahrt begegnen uns mindestens fünf Furgons, die von Corovodë kommen oder nach dorthin unterwegs sind. Von wegen hier fahren keine Busse…

Die heutige Wanderung soll uns zu einem Wasserfall führen, offenbar ein beliebtes Ausflugsziel. Man kann sogar geführte Wanderungen dahin buchen.

Mutig wie wir sind, trauen wir uns zu, den Wasserfall alleine zu finden. Schliesslich haben wir eine geniale Wander-App (Komoot), dank der wir schon so manchen unbekannten Weg gefunden haben.

Der Weg ist tatsächlich ganz einfach zu finden – sein Zustand löst bei uns allerdings keine Begeisterungsstürme aus. Offenbar wird gerade eine neue Wasserleitung gebaut, die alte wird ausgegraben und weggerissen. Und der Regen der letzten Tage und Wochen hat sein übriges dazu beigetragen, dass aus der einstigen Strasse eine sumpfige Piste wurde.

Der Weg zum Wasserfall ist nicht weit, und als wir da ankommen, fragen wir uns, warum es Leute gibt, die geführte Wanderungen an diesen Ort buchen.

Er ist ja ganz nett, aber viel spektakulärer als beispielsweise jener im Chuchigraben oberhalb Rüttenen ist er nicht.

Aber vielleicht sind wir halt einfach verwöhnt.

Wir wollen noch weiter den Hang hinauf und dann in einem Bogen wieder runter ins Dorf. Das heisst, erst mal müssen wir eine steile Treppe hoch, die zu einem Wasserreservoir führt, dann um dieses herum.

Wir sehen von unten her, dass hinter dem hohen Zaun beim Reservoir zwei Hunde liegen. Der kleinere beobachtet uns interessiert, der grosse schläft. Die beiden scheinen harmlos, und ausserdem ist da ja noch der Zaun zwischen ihnen und uns.

Wir steigen die Treppe hoch. Der kleinere Hund beginnt zu bellen. Der andere erwacht, sieht uns, wedelt mit dem Schwanz und bellt ebenfalls.

Wir sehen, dass der Zaun nicht ganz dicht ist – an einer Stelle, gleich bei der Treppe, ist ein Loch, durch das der kleine Hund gut hindurchschlüpfen könnte. Aber ob er überhaupt auf die Idee kommt?

Dann, wir sind schon beinahe oben, gehts ganz schnell: Der kleine Hund schlüpft durchs Loch, der grosse zwängt sich ebenfalls hindurch. Bellt, fletscht die Zähne und greift an. Schnappt nach Retos Bein – dieser versucht, ihm einen Tritt zu geben, aber das ist schwierig. Die Hunde stehen oben, wir unten, in einer sehr unkonfortablen Situation.

Reto und ich schreien die Hunde nach Leibeskräften an, sie zögern kurz – – – und grade, als sie wieder angreifen wollen, ertönt ein Pfiff. Die Tiere machen auf der Stelle rechtsumkehrt und schlüpfen durchs Loch hinter den Zaun zurück.

Ein Mann steht oben beim Reservoir, der Besitzer der beiden Köter, und bedeutet uns, wir könnten jetzt durch…

Der Hund hat Retos Bein tatsächlich erwischt, zum Glück ist die Wunde nur oberflächlich, eigentlich nur ein Kratzer. Trotzdem, der Schreck sitzt uns in den Knochen, und ich werde mich bis am Abend nicht richtig davon erholen.

Der Weg gestaltet sich von nun an über weite Strecken unübersichtlich, zum Teil ist er praktisch zugewachsen. Oft finden wir seinen ungefähren Verlauf nur dank unserer App. Wir zwängen uns zwischen Gebüsch hindurch (darin sind wir inzwischen recht geübt), schleichen gebückt durchs Dickicht, fast wie Winnetou auf dem Kriegspfad.

Eigentlich ist es ganz lustig, wenn auch anstrengend. Und auf unsere App ist Verlass, wir finden den Weg aus dem Dschungel.

Von oben sehen wir nochmals aufs Reservoir mit den beiden unfreundlichen Hunden.

Als es flacher wird und der Wald lichter, begegnen wir zwei Schlangen.

Die eine, eine giftige Hornotter, lässt sich sogar fotografieren, bevor sie verschwindet.

Die andere, eine dünne schwarze, sucht ganz schnell das Weite.

Alles in allem wars eine spannende, abwechslungsreiche Wanderung. Und meine Lehre daraus: Von nun an bin ich nur noch mit einsatzbereitem Pfefferspray unterwegs. Der war nämlich, als es ernst galt, ganz unten im Rucksack verstaut…