Mai 2023

„Alt“ ist relativ

Montag, 16. Mai

Wir verbringen den Tag in Berat, nehmen es gemütlich.

Die Gassen zwischen den Unesco-geschützten Häusern sind eng und steil.

Und wir haben den Eindruck, dass hier nicht viele Einheimische wohnen. Wo immer möglich, sind die Wohnhäuser zu Hotels, Guesthouses und Ferienwohnungen umfunktioniert. In kleinere Räume sind Regale gequetscht worden, hier werden regionale Produkte verkauft: Honig, Konfitüre, Kräuter oder Handarbeiten.

Wir finden einen schmalen Weg durch die Felsen, er ist von Wildblumen gesäumt, und offensichtlich kommen hier nicht viele Leute vorbei.

Es ist richtig idyllisch. Unterwegs steht eine orthodoxe Kirche, die offenbar dem Erzengel Michael geweiht ist. Ein schönes Bauwerk!

Dann gehts weiter, ins felsige Gelände. Unglaublich, dass es in dieser Touristenstadt so einen schönen, einsamen Ort gibt!

Schliesslich kommen wir hoch zur Burg

und sind plötzlich nicht mehr allein.

Das ganze Burggelände ist frei zugänglich, und wie schon bei der Burg von Gjirokastêr gibts keine Geländer, keine Absperrungen, keine Verbote, auf Mauern zu klettern.

Zum Teil ist es durchaus gefährlich, wie etwa am Eingang zur grossen Zisterne.

Da steigt man eine steile Treppe hinunter, kommt auf eine kleine Plattform. Ein Schritt mehr, und man landet drei, vier Meter weiter unten, im Wasser.

Aber offensichtlich funktionierts, man glaubt an die Selbstverantwortung der Menschen, und es passiert nichts.

Für den Abstieg wählen wir einen Weg zum „anderen“, ärmlichen Berat. Die Nadelbäume am Burghang wachsen nicht, wie etwa unsere Tannen, gerade in den Himmel, sondern im rechten Winkel zum Hang. Seltsam. Oder normal?

Im „anderen“ Berat sind die Wege weniger gepflegt, dafür macht die Stadt hier einen etwas bewohnteren Eindruck.

Zurück in der Stadt, möchte sich Reto wieder mal rasieren lassen. In einem Berber-Laden empfiehlt ihm der junge Coiffeur einen Barbier in der Innenstadt, der das Handwerk des Nassrasierens mit dem Messer bestens beherrsche. „He’s an old man, but he ist the best!“

Ein alter Mann – wir erwarten einen mindestens 80-Jährigen.

„Alt“ ist relativ…

Zumindest der Coiffeurstuhl hat die Bezeichnung „alt“ verdient.

Aber der junge Coiffeur hatte recht: Der Mann versteht sein Handwerk, und innert kürzester Zeit ist Reto perfekt rasiert.

Die zwei Gesichter einer Stadt

Sonntag, 14. Mai

Die fünf Tage in Sarandë sind vorbei. Es war gut, eine Wohnung als „Insel“ zu haben und von hier aus Ausflüge zu machen.

Aber nun freuen wir uns darauf, einen neuen Ort zu entdecken. Wir möchten nach Berat, sind aber nicht sicher, ob ausser frühmorgens ein weiterer Bus dahin fährt. Berat ist weit weg, die Fahrt dauert scheints viereinhalb bis sechs Stunden.

Um 10 Uhr geben wir unsere Wohnung ab und pilgern zur Bus- und Taxistation. Fragen den ersten Buschauffeur und finden den Ort, wo der Bus nach Berat abfahren soll.

Um halb drei fahre er, sagt der Besitzer der Bar am Strassenrand. Allerdings komme er schon um zwanzig nach zwölf an, und sobald er voll sei, werde er fahren.

Cool, mal eine präzise Zeitangabe…

Also spazieren wir noch ein bisschen herum. Trinken hier einen Kaffee, kaufen dort eine Süssigkeit… und sind pünktlixh um 20 nach 12 wieder beim Busterminal.

Der Furgon steht schon da, der Chauffeur hilft uns bein Einladen der Rucksäcke. So haben wir schon mal einen Platz auf sicher.

Er fahre nicht vor halb drei los, versichert uns der Fahrer. Wir sollen doch noch einen Kaffee trinken.

Ok. Machen wir. Und noch einen. Die Zeit wird lang… aber wir nehmen uns ein Beispiel an unserem Chauffeur, der seelenruhig auf einem Stuhl vor der Bar sitzt und ……. nichts tut.

Einfach sitzen.

Es funktioniert. Irgendwann ist es halb drei. Nun kann es losgehen.

Wir fahren Richtung Gjirokaster, biegen dann ab nach Tëpelene, fahren an Memaliaj vorbei – die Strecke kennen wir schon.

Es zieht sich…

Nach anderthalb Stunden hält der Bus irgendwo im Nirgendwo, bei einer Bar mit angrenzendem Toilettenhaus.

Der Chauffeur braucht ein Zvieri, wir anderen eine Pinkelpause.

Dann gehts deutlich entspannter weiter, die Pause hat allen gut getan.

Aber es ist noch weit, die Strasse wird immer schlechter, wir fahren immer langsamer.

Aber irgendwann kommt das lang ersehnte Strassenschild: Berat. Nur noch rasch tanken, bevors in die Stadt hinein geht.

Der Fahrer und sein Begleiter steigen an der Tankstelle aus, beide zünden sich sofort eine Zigarette an. Wenn das nur gut geht…

Den Tankwart scheints nicht zu stören, und ja, es passiert auch nichts. Wir sind erleichtert, als der Tank voll ist und wir die Tankstelle heil verlassen.

Und dann setzt uns der Fahrer auch schon ab. Endstation. Er deutet noch in die Richtung, in der wir gehen sollen Und weg ist er.

Wir schauen uns erstaunt um. Wir haben gelesen, die Stadt Berat sei auf der Unesco-Weltkulturerbe-Liste. Die Stadt der 1000 Fenster.

Und nun stehen wir zwischen heruntergekommenen Wohnblocks und Geschäften, die wohl seit Jahren leerstehen. Und Ruinen, ohne Dach und ohne Fenster. Ein Armenviertel.

So haben wir uns das Welt-Kulturerbe nicht vorgestellt.

Zögerlich gehen wir die Strasse entlang. Nach ein paar hundert Metern ändert sich das Stadtbild, die Häuser werden gepflegter, wir kommen sogar an einer Art Park vorbei.

Und schliesslich kommen wir im wohlbekannten Berat an, der Stadt mit weissen, hergerichteten Fassaden. Und vielen, vielen Fenstern.

Die zwei Gesichter von Berat geben uns zu denken. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir das erleben: Das Zentrum einer Stadt ist herausgeputzt, zeigt den Touristen seine Schokoladenseite. Und ein paar Meter weiter blättert der Verputz, liegt der Dreck.

Hier in Berat ist der Gegensatz aber noch viel krasser. Es ist, als ob man innert Minuten auf einen anderen Planeten wechseln würde.

Im Unseco-Berat flanieren die Leute auf einem breiten Boulevard in einer Fussgängerzone, Restaurants und Cafés laden zum Verweilen ein. Ein grosszügiger Park spendet Schatten. Alles ist blitzblank geputzt.

Und die Armut und der Dreck im anderen Berat ist schnell verdrängt.

„Hier fährt nichts ausser mir“

Samstag, 13. Mai

Caro und Jasi haben uns vorgewarnt: Das „Blue Eye“ in der Nähe von Sarandë sei bei weitem nicht so spektakulär, wie man angesichts der vielen begeisterten Reiseberichte glauben könnte.

Also, eigentlich lohne es sich überhaupt nicht, extra dorthin zu fahren.

Wir wollen es trotzdem wissen. Wir haben heute ja nichts anderes vor 🙂

Der Furgon ist schnell gefunden, allerdings fährt er erst in einer Stunde. Ok, dann spazieren wir noch ein wenig am Strand und schauen uns das grosse Kreuzfahrtschiff, das seit heute früh am Hafen liegt, genauer an.

Allzu nah ran können wir allerdings nicht. Der Hafen ist natürlich abgesperrt, da dürfen Normal Sterbliche nicht einfach rein.

Die Stunde ist schnell vorbei, und als wir wieder zum Furgon kommen, ist dieser schon ziemlich voll. Der Fahrer hat uns aber zwei Plätze freigehalten. Und das, ohne dass er eine Zusage von uns hatte, dass wir mitfahren würden!

Als wir bei der Abzweigung zum Syri i Kaltër (Blue Eye) aussteigen, informiert uns der Fahrer, er werde auf der Rückfahrt von Gjirokastër um viertel vor zwei wieder da sein und uns dann gerne wieder mitnehmen.

Er sagt es recht eindringlich, und fügt noch hinzu: Da fährt sonst kein Bus, kein Taxi. Nichts.

Ok, in dem Fall werden wir uns bemühen, pünktlich wieder da zu sein.

Wir haben im Vorfeld gelesen, vom Parkplatz zum Syri i Kaltër sei es eine rund halbstündige Wanderung, und wir stellen uns vor, dass wir auf einem lauschigen Waldweg wandern werden. Das stimmt leider nicht ganz.

Es gäbe wohl noch einen zweiten Weg, aber wie es aussieht, wurde dieser beim Bau dieser „Autobahn“ zugeschüttet.

Unten angekommen, können wir die Einschätzung von Caro und Jasi nur bestätigen. Eine Plattform voller Leute, darunter blubbert das Wasser. Und in der Nähe macht ein Motorboot einen Höllenlärm.

Wir kämpfen uns durch selfieschiessende Jugendliche, werfen einen Blick ins Wasser.

Ok, die Farben sind eindrücklich, aber der Trubel und der Lärm um uns herum macht das Erlebnis zunichte. Wir wollen nur weg hier. Auch die schöne Landschaft hält uns nicht länger als nötig hier.

Vorne, in der Nähe zum Parkeingang, haben wir zwei Imker gesehen, die ihre Bienenvölker kontrollierten. Wir gehen lieber zurück und schauen ihnen noch ein wenig zu.

Um halb zwei stehen wir wieder vorne an der Strasse, um unseren Furgon ja nicht zu verpassen. Da stehen bereits zwei junge Frauen, sie verhandeln grade mit einem Taxifahrer.

Sie werden sich nicht einig, das Taxi fährt weg. Die beiden Frauen sind Deutsche. Sie erzählen, sie seien mit einem Bus gekommen, und der Chauffeur habe ihnen versprochen, um halb zwei wieder hier zu sein.

Und: Auch er habe gesagt, ausser ihm fahre niemand hier vorbei, kein Taxi, kein Furgon. Selbstverständlich hat auch der Taxifahrer von vorhin behauptet, er biete die einzige Fahrgelegenheit weit und breit an.

Inzwischen ist es viertel vor, die Frauen sind verunsichert. Kein Problem, sagen wir. Unser Furgon kommt jeden Moment, und er nimmt sie sicher auch mit.

Die Zeit vergeht. Um zwei Uhr beginnt es zu regnen. Ich bleibe zuversichtlich, dass unser Chauffeur sein Versprechen hält, und dass sein Furgon nur ein paar Minuten Verspätung hat. Kann ja vorkommen. wir sind in Albanien.

Viertel nach zwei. Es ist ungemütlich.

Da kommt ein weiteres Taxi angefahren, lädt die beiden Frauen ein, einzusteigen. Uns will der Fahrer nicht mitnehmen, er sagt irgendwas, er müsse auf dem Parkplatz noch weitere Leute holen.

Die Frauen steigen ein, das Taxi fährt Richtung Parkplatz davon.

Zehn Minuten später. Wir haben uns schon darauf eingerichtet, dass wir Dimitri, den Taxifahrer von gestern, ein weiteres Mal engagieren müssen. Da kommt tatsächlich ein Bus, hält an, lässt uns einsteigen. Wahrscheinlich der Bus der beiden Deutschen, der vor knapp einer Stunde hätte hier sein sollen.

Eben, wir sind in Albanien. Hier spielt die Zeit eine untergeordnete Rolle. Geduld ist alles.

Das überirdisch blaue Meer

Freitag, 12. Mai

Ist das Meer an der „Albanischen Riviera“ wirklich so blau, wie es uns die Bilder im Internet glauben machen wollen?

In Sarandë präsentierte es sich bis jetzt immer grau. Grau wie der Himmel und die Wolken über Korfu.

Aber wer weiss, vielleicht sieht es weiter nordwestlich, Richtung Himarë, anders aus – vor allem wenn die Sonne scheint?

Das wollen wir heute herausfinden und ziehen los, einen Furgon Richtung Himarë suchen.

Wir finden ihn zwar, aber er fährt erst in knapp zwei Stunden. Deshalb leisten wir uns heute zum ersten Mal ein Taxi.

Unser Chauffeur heisst Dimitri. Er fährt angenehm gemächlich, und er redet nicht viel. Auch das ist angenehm. Er fährt uns bis Lukova; von dort aus wollen wir der Küste entlang bis ins übernächste Dorf Nivice wandern.

Reto hat im Internet die Beschreibung eines markierten Wanderwegs gefunden. In Albanien ist das, wie wir ja wissen, eine Seltenheit; oft ist man dazu verdammt, einer Hauptstrasse entlang zu wandern, weil kein anderer Weg existiert.

Wir haben Glück und finden den Einstieg in Lukove rasch. Erst gehts eine Strasse runter, dann über Wiesen- und Buschland.

Es ist traumhaft schön hier, kein Mensch weit und breit. Und der Wanderweg ist zuverlässig markiert.

und dann sehen wir es: das kitschig-blaue Meer! Es ist also tatsächlich so; zumindest bei Sonnenschein und in Ufernähe ist das Meer von einem überirdischen Blau.

Wir können uns fast nicht sattsehen.

Wir wandern durch eine üppig grüne Landschaft, durch fast mannshohes Farn.

Der Wanderweg führt uns nun zu einem Strand. Auch hier ist kein Mensch zu sehen. Kein Wunder. es führt keine Strasse dahin – er ist nur zu Fuss oder per Boot erreichbar.

Im Sommer wird er wohl trotzdem brechend voll sein. Wie wir gelesen haben, können Bootstouren an die abgelegenen Strände gebucht werden.

Hier treffen wir sogar auf einen Wanderwegweiser

und eine kleine Kirche

und weiter gehts, wieder etwas aufwärts, wo Bäume und Büsche etwas zahlreicher werden, und wo wir auch nicht mehr ganz allein sind: Im steilen Gelände weiden Rinder und Kälber.

Dementsprechend müssen wir von nun an zunehmend den Kuhfladen ausweichen.

Wir treffen sogar auf Mistkäfer, die aus Kuhmist Kugeln formen.

Der Weg wird zunehmend morastiger, durchsetzt mit Kuhfladen, bewachsen mit dornigem Gestrüpp und kleinen Bäumen, unter deren Ästen wir hindurchkriechen müssen. Die Markierungen werden auch immer spärlicher.

und wo, bitte, ist nun der Weg???

Mehr als einmal müssen wir umkehren und es in eine andere Richtung versuchen. Aber schliesslich schaffen wir es

und finden einen Weg aus dem Dickicht und an den nächsten Strand.

So paradiesisch es hier ist – sinnigerweise heisst dieser Strand „Lost Paradise“ – wir wüssten doch zu gerne, wie wir hier wieder rausfinden und zurück in die Zivilisation gelangen. Kaum verlassen wir den Strand, finden wir uns in undurchdringlichem Dickicht wieder. Und es ist später Nachmittag, allzu viel Zeit bleibt uns nicht…

Da, zuvorderst, sehen wir ein Gebäude, wohl ein Kiosk für den Sommerbetrieb oder so. Er ist zwar noch tief im Winterschlaf, aber da sind drei Personen am Strand.

Sie können uns vielleicht helfen?

Tatsächlich, auch sie sind zu Fuss hergekommen, von der anderen Seite. Also von da, wo wir hin wollen.

Der eine erklärt uns, wo sich der Einstieg befindet, betont aber im gleichen Atemzug, es sei sehr schwierig, den Weg zu finden, obwohl er markiert sei. Er selber sei ein Einheimischer, er kenne den Weg.

Aber wir als Fremde… er sagt nicht, wir hätten keine Chance, aber sein zweifelndes Gesicht spricht Bände.

Egal. Wir werden es probieren. Wenn wir scheitern, können wir immer noch anderthalb Stunden warten, bis die drei aufbrechen, und ihnen folgen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten finden wir den Pfad und hangeln uns, höchst konzentriert, von Markierung zu Markierung.

Wir achten auch auf niedergetretenes Gras, denn die drei sind ja erst gerade hier durchgelaufen. So finden wir den Weg, zu unserem Erstaunen, ohne gross auf Abwege zu geraten. Und kommen dabei an zwei alten Klöstern vorbei. Die Gebäude und die Fresken (die Kirchen stehen einfach offen!) beeindrucken uns sehr.

Dass die Fresken, wie schon jene in Leus, übel zerkratzt sind, schockiert uns zwar immer noch, aber es ist in Albanien wohl einfach so: Die Malereien sind frei zugänglich, und es kümmert niemanden, wenn sie zerstört werden.

Denkmalschutz ist hier offenbar (noch) kaum ein Thema. Und: Wären die Kirchen verschlossen, dann wären die Fresken zwar geschützt, aber es könnten sie nicht mehr alle bewundern.

Tief beeindruckt ziehen wir weiter.

Inzwischen ist es schon gegen 19 Uhr, der letzte Bus Richtung Sarandë ist längst abgefahren.

Zum Glück haben wir Dimitri in weiser Voraussicht nach seiner Telefonnummer gefragt. Ein kurzer Anruf, und zwanzig Minuten später ist er da und bringt uns sicher nach Sarandë zurück.

Vielen Dank, Dimitri!

Im Kloster der 40 Märtyrer

Donnerstag, 11. Mai

Heute wollen wir es ruhig angehen, nur ein kleiner Spaziergang zu einem einst wichtigen, aber heute verfallenen Kloster oberhalb Sarandë. Etwa dreiviertel Stunden zu gehen.

Es ist spannend zu sehen, wie sich die Stadt zu den Rändern hin verändert; wie die Strassen schmaler, die Häuser älter und kleiner werden. Längst sind auf Google Maps nicht mehr alle Gassen und Treppen eingezeichnet – in Sarandë gibts unzählige Treppen!

Nicht immer ist klar, ob wir uns auf öffentlichem Grund befinden, oder ob wir in einem privaten Vorgarten stehen. Die Grenzen scheinen hier fliessend zu sein. Und wahrscheinlich kümmerts eh niemanden.

Dafür kommt es vor, dass eine gross eingezeichnete Strasse an einem verschlossenen Tor endet. weil dahinter inzwischen ein Hotel mit Park erstellt wurde.

Ganz oben, am Rand von Sarandë, hoch über der Stadt mit phantastischem Blick aufs Meer, stehen wieder vermehrt Hotels und Villen, auch solche, die noch im Bau sind.

Bei einigen ist man aber nicht sicher, ob sie jemals fertiggestellt werden.

Aber das gibts überall in Albanien. Die Betongerippe, die offensichtlich schon seit Jahren dastehen, sind mancherorts so häufig wie die Bunker aus Enver Hoxhas Zeiten.

Und ganz oben, auf einem Hügel, steht die Ruine des Klosters der 40 Märtyrer, erbaut vor rund 1500 Jahren. Wir sind etwas erstaunt, dass davor ein Mann steht, der Eintrittsgeld verlangt. Wir waren schon bei einigen spektakuläreren historischen Bauten, die frei zugänglich waren. Und der arme Mann steht sich momentan für vielleicht zehn BesucherInnen pro Tag die Beine in den Bauch.

Auf den ersten Blick scheint das Kloster wenig spektakulär – halt viele alte Mauern, wie an anderen Orten auch.

Aber dann entdecken wir einen Gang unter dem Gebäude, vielleicht einen Meter breit und zwei Meter hoch. Drinnen ist es stockdunkel. Die Taschenlampenfunktion meines Handys nützt nicht viel. Zum Glück hat Reto eine kleine Lampe mit einem richtig starken Licht dabei, damit können wir uns orientieren.

Alle paar Meter hats eine Abzweigung, die in eine kleine Kapelle führt. So kommt man an insgesamt zehn Kapellen vorbei, bevor der Gang in einem Bogen zurück zum Ausgangspunkt führt.

Spannend!

Zudem finden wir noch weitere gut erhaltene Räume, darunter eventuell eine Backstube und diverse Bogengänge.

Alles in allem ein spannender Ort zum Erkunden.

Bis jetzt hat sich das Wetter gut gehalten. Aber gerade als wir wieder aufbrechen wollen, beginnt es zu regnen. Wir flüchten uns unter ein Dach, gerade rechtzeitig, bevor ein richtiger Wolkenbruch losgeht.

Fast eine Stunde lang schifft es, was das Zeug hält. Dann hört es so plötzlich wieder auf, wie es begonnen hat. Aber leider bleibts nicht lang genug trocken – auf halbem Weg zu unserer Wohnung fängt es wieder an; es fühlt sich ähnlich an, wie wenn wir unter einer Dusche laufen würden. Und so sehen wir schliesslich auch aus. Pflotschnass, triefend, tropfend.

Was solls. Wir haben eine heizbare Wohnung, eine warme Dusche und kuschlige, trockene Decken. Was wollen wir mehr?

In Butrint tickt die Uhr anders

Mittwoch, 10. Mai

es fühlt sich gut an, für ein paar Tage eine Bleibe zu haben. die Wohnung hat zwei Zimmer und einen grossen Balkon, wir hben viel mehr Luft als in einem engen Hotel- oder Guesthouse-Zimmer.

Heute wollen wir Butrint besuchen, eine Ruinenstadt aus der Antike und eine der drei als Unesco-Weltkulturerbe geschützten Stätten Albaniens.

Zum ersten Mal fahren wir mit einem „richtigen“ Bus. Bisher waren wir immer mit Furgon-Kleinbussen unterwegs.

Wir warten also an der Haltestelle, der Bus kommt – es ist ein Postauto! In bekanntem Postgelb, mit rotem Streifen. Im Inneren die Sitzbezüge mit den wohlvertrauten Posthörnern.

wir fühlen uns fast wie zu Hause; nur die vorbeiziehende Landschaft will nicht so recht dazu passen.

Unterwegs fahren wir an einem „Gespann“ vorbei, dem wir schon dreimal begegnet sind – kurz nach unserer Ankunft in Vlorë, später in Orikum, und schliesslich gestern, als wir im Bus nach Sarandë fuhren: Einem Wanderer mit Hund und Einkaufswagen. Und wieder haben wir keine Gelegenheit, mit ihm zu plaudern, ihn zu fragen, wie es so ist, mit einem Einkaufswägeli unterwegs zu sein. Wir stellen es uns nicht sehr angenehm vor. Man muss zwar weniger Gewicht tragen, aber dafür muss man immer der Strasse entlang gehen.

Wer weiss, vielleicht sehen wir ihn ja nochmals.

In Ksamil steigen wir aus, wir wollen nach Butrint spazieren und rechnen fest mit einem idyllischen Wanderweg dorthin. Und wir wollen vorher in einer Pasticeri eine süsse Wegzehrung kaufen.

Beides klappt nicht: Wir finden besagte Pasticeri nicht, und es gibt anscheinend keinen anderen Weg nach Butrint als den über die Strasse.

Was solls, es sind ja nur drei, vier Kilometer. Und auf dem letzten Kilometer gibts sogar ein Trottoir.

Wie wohl an allen Strassen Albaniens stehen auch hier alle paar hundert Meter Grabsteine, die an tödliche Unfälle erinnern. Fast immer sind es junge Männer um die Zwanzig, oft waren sie zu zweit unterwegs. In einem der Unfallautos sassen offenbar Zwillinge, es ist nur ein Geburtsdatum angegeben.

Man will sich den Schmerz der Familie gar nicht vorstellen…

Nun sind wir gespannt auf Butrint.

Offenbar war die Halbinsel bereits im 8. Jahrhundert besiedelt, man findet Spuren der hellenistischen, byzanthinischen, venezianischen und osmanischen Kulturen.

Der Rundgang ist spannend, auch wenn man schlussendlich (nüchtern betrachtet) „nur“ einen Haufen Steine sieht.

Wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen an diesen Bauwerken gearbeitet haben, wie die Menschen in früheren Zeiten hier gelebt haben, dann hat man schon ein wenig das Gefühl, der Geist all dieser Leute schwebe noch über Butrint.

unter dem Kies auf diesem Platz ist ein Mosaik verborgen – der Kies schützt es vor schädlichen Umwelteinflüssen.

Auf einer Infotafel ist das Mosaik abgebildet:

Als wir ganz oben auf dem Hügel stehen, fragen wir uns, wann wohl der letzte Bus nach Sarandë fährt. Zum Teil fahren die Busse in Albanien scheints nur bis Mitte Nachmittag.

Ich schaue auf die Uhr: was, schon 15 Uhr. Falls der letzte Bus um 15.30 Uhr fährt, müssen wir uns schon fast beeilen. Reto zeigt mir seine Uhr: Gemäss ihr ist es erst 14 Uhr.

Seltsam..

Das Handy wird zu Rate gezogen. 15 Uhr.

Ok, Reto stellt seine Uhr nach.

Wir spazieren runter zum Eingang des Parks.

Nochmals ein Blick auf die Uhr: Viertel nach zwei. Nun ist die Verwirrung komplett: Ticken in Butrint sogar die Uhren anders?

Des Rätsels Lösung: Wir befinden uns hier an der Grenze zu Griechenland und damit zu einer andern Zeitzone. Wenn sich das Handy ins griechische Netz einklinkt, übernimmt es auch die Zeit. Und da sich meine Garmin-Uhr alle paar Minuten mit meinem Handy verbindet, hat sie die Zeit prompt ebenfalls übernommen.

Da die Busse bis mindestens um halb sieben fahren, haben wir also noch eine Menge Zeit. Die wir nutzen wollen, um doch noch einen Wanderweg nach Ksamil zu finden. Auf einem Plan im Park ist nämlich einer eingezeichnet. Wir finden einen schmalen Eingang ins Dickicht, schlagen uns durch die Büsche. Der Weg wird breiter – schon freuen wir uns, auf dem richtigen Weg zu sein.

Da stehen wir unversehens vor einem verschlossenen Tor.

Also lassen wirs halt und fahren zurück nach Ksamil und Sarandë. Mit dem Postauto.

Eine Wohnung für fünf Tage

Dienstag, 9. Mai

Zwei Wochen sind wir schon in Albanien, und wir haben so viel gesehen und erlebt, dass es uns viel länger vorkommt.

Es ist ewig her, seit wir das letzte Mal so lang am Stück in den Ferien waren; normalerweise sind wir maximal eine Woche weg, gehen dann für zwei, drei Tage nach Hause und brechen nochmals für ein paar Tage auf.

Es ist also ungewohnt. Und wir haben gestern beide festgestellt, dass es sich nicht nur gut anfühlt, immer unterwegs zu sein. Es kann auch ein Gefühl der „Heimatlosigkeit“ auslösen.

Wir haben einen Ferienkoller!

Es ist nicht Heimweh – wir denken selten an unser Zuhause am Veilchenweg. Höchstens ab und zu an unsere Bienen, und hoffen, dass es ihnen gut geht.

Jedenfalls haben wir beschlossen, mal länger an einem Ort zu bleiben, quasi für ein paar Tage sesshaft zu werden. Dies bietet sich umso mehr an, weil das Wetter in den nächsten Tagen eher trüb werden soll.

Wir buchen also in Sarandë eine Ferienwohnung für fünf Tage und verabschieden uns von Përmet und den netten Hotelbesitzern im Apolonia.

Sie sorgen dafür, dass der Bus uns beim Hotel abholt und stellen uns, als wir auf der Terrasse warten, als Abschiedsgeschenk eine Halbliter-Mineralwasserflasche auf den Tisch. Eine nette Geste, denken wir; immerhin dauert die Fahrt nach Sarandë zwei Stunden. Da kann man unterwegs schon Durst bekommen.

Aber die Flasche ist nicht als Wegzehrung für die Fahrt nach Sarande gedacht – sie enthalt Raki, und zwar selbst gebrannten, wie uns der Hotelbesitzer stolz verrät.

Er hat uns schon vorgestern Abend zu einem Glas eingeladen, und sogar als Nicht-Schnaps-Trinker müssen wir zugeben: Er ist richtig gut. Was wir allerdings nun mit einem halben Liter Raki anfangen sollen, wissen wir nicht so recht.

Nun denn. Bevor der Bus kommt, zieht noch eine grosse Schafherde am Hotel vorbei und blockiert die ganze Strasse.

Auch wenn einige Autos dadurch gestoppt werden und sich in Geduld üben müssen, bis sie durch die Herde hindurch sind, scheint dies niemanden zu stressen.

Und, als wir schliesslich im Bus sitzen, sind wir auch schon bald von Schafen umringt. Auch unser Chauffeur lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen.

Die Fahrt nach Sarandë ist sehr angenehm. Die Strasse ist brandneu, so neu, dass vielerorts noch daran gebaut wird. Eine kurze Strecke ist noch nicht einmal geteert.

Schon in den letzten Tagen ist uns aufgefallen, dass vielerorts Strassen neu geteert wurden oder werden. Wie es aussieht, werden die berüchtigten Holperpisten in Albanien zumindest auf den grossen Verbindungsstrecken bald der Vergangenheit angehören.

In einem Dorf steigt ein älterer Mann ein und setzt sich neben uns. Als der Bus wieder abfährt, bekreuzigt er sich mehrmals und hält sich während der ganzen Fahrt an einer Stange neben der Türe fest.

Vielleicht ist so eine Busfahrt viel gefährlicher als wir dachten?!

In Sarandë angekommen, machen wir uns auf die Suche nach der Ferienwohnung. Wir haben eine Wegbeschreibung von Airbnb und eine von der Vermieterin. Natürlich folgen wir jener der Vermieterin – es ist, trotz Google Maps, nicht ganz einfach, bei den vielen Strassen, Gassen, Treppen und Querverbindungen immer die richtige zu treffen. Aber die Hilfsbereitschaft der AlbanerInnen ist gross, und wir werden jedes Mal sofort darauf hingewiesen, wenn wir in eine Sackgasse einbiegen.

Schliesslich sind wir am Ziel (laut Beschreibung der Vermieterin) angelangt, wo uns ihre Mutter empfangen sollte. Nur: Wir stehen am Hintereingang eines Hotel-Neubaus, und der ist verschlossen. Und weit und breit ist niemand zu sehen.

Dann hätten wir wohl der Airbnb-Beschreibung folgen sollen. Also machen wir kehrt und suchen weiter. Eine schweisstreibende Angelegenheit, denn die Gegend ist alles andere als flach. Es geht steile Gassen hoch, Treppen wieder runter, andere wieder hoch… bis wir schliesslich verzweifelt eine Kellnerin um Rat fragen. Mit der Vermieterin sind wir per Whatspp in Kontakt – nicht sehr hilfreich. Die Kellnerin schickt uns eine steile Strasse hoch, dann links. Dort sind wir tatsächlich bei der richtigen Hausnummer. Uff!

Nur: wo ist die Mutter, die uns den Schlüssel geben soll?

Eine junge Frau ruft uns von einem Balkon aus zu, ob sie uns helfen könne. Sie kommt zu uns herunter – offenbar ist sie die Hauswartin hier – aber, nein, sie weiss nichts von unserer Reservation. Wir sind hier falsch.

Also, weiter. Nun ruft uns die Vermieterin an und lotst uns, so gut es geht, per Telefon durch die Stadt. Und, oh Wunder, zehn Minuten später finden wir die richtige Adresse samt Mutter. Ganz in der Nähe des Hotel-Hintereingangs, bei dem wir schon mal standen.

Wir sind total nassgeschwitzt. Aber egal. Ein paar Minuten später stehen wir in der Wohnung, und alles ist gut.

Gegensätzliches Përmet

Montag, 8. Mai

Wir bleiben für einen Tag in Përmet, wollen uns ausruhen und nur einen Spaziergang ins nächste Dorf machen.

Das Zentrum von Përmet macht einen wohltuend aufgeräumten und luftigen Eindruck. Recht breite Strassen, grosse Plätze – jedemfalls verglichen mit Gjirokastër und Tepelenë. Und moderne Häuser.

Nach den zum Teil sehr ärmlichen Dörfern der letzten Tage kommt es uns vor, als wären wir auf einem andern Planeten gelandet.

Vor unserem Spaziergang will sich Reto wieder einmal rasieren lassen, diesmal aber richtig, mit einem Messer, nicht wieder mit Rasierapparat.

Er findet tatsächlich einen Barbier mit entsprechenden Fähigkeiten. Und ist eine halbe Stunde später frisch rasiert.

vorher

nachher

Kaum haben wir das Zentrum von Përmet verlassen, ändert sich das Stadtbild dramatisch. Die Häuser werden mit jedem Schritt schäbiger und baufälliger,

und schliesslich stehen nur noch Ruinen am Strassenrand.

Und: Es liegt viel mehr Müll herum.

Für Südalbanien sind solche Müllberge ein ungewohntes Bild. Im Vergleich zur Region Durrës, wo wir letztes Jahr Flüsse voller Abfall überquerten, und wo Müllberge am Strassenrand zum Alltagsbild gehören, ist Südalbanien ausserordentlich sauber. In jedem Dorf stehen Container, zum Teil offenbar von Japan gesponsert (?),

und die Müllabfuhr scheint gut zu funktionieren.

Ein paar Kilometer ausserhalb der Stadt überqueren wir die Vjosa über eine wacklige Hängebrücke. Im ersten Moment sind wir uns nicht ganz sicher, ob das Ding wirklich hält. Zum Teil sind morsche Holzlatten recht abenteuerlich geflickt.

Aber wenn man mal auf der Brücke steht, ist alles nur halb so schlimm. Das Holz hält, und heikle oder löchrige Stellen sind mit Steinen markiert.

Da kann ja witklich nichts mehr passieren, oder?

Von der Brücke aus ist zudem der Blick auf die Vjosa unvergleichlich.

Beim nächsten Dorf erklimmen wir einen Hügel, auf dem mal ein riesiges Kreuz aus Beton stand. Inzwischen ist es aber eingeknickt und wurde durch ein weit weniger bombastisches weisses Holzkreuz ersetzt.

An der selben Stelle finden wir auch die Überreste eines Bunkers,

und zum ersten Mal haben wir eine gute Gelegenheit, ins Innere zu sehen.

Wie erwartet, ist das Bunker-Innenleben wenig eindrücklich.

Im nächsten Dorf treffen wir beim Dorfbrunnen einen Bauern mit seinen zwei Maultieren. Wir plaudern kurz, wie gewohnt er auf Albanisch, wir, soweit möglich, ebenfalls.

Und wir dürfen ihn mit seinen Tieren fotografieren, was uns besonders freut.

Zurück gehts querfeldein, an typisch albanischen „Weidezäunen“ vorbei.

Alles in allem ein schöner, entspannender Spaziergang!

Schlafende Hunde wecken? Niemals!

Sonntag, 7. Mai

Ausser uns haben rund zehn andere WandererInnen im Guesthouse übernachtet – sie sind alle wesentlich jünger als wir – und alle wollen heute nach Përmet weiterwandern.

Wir gehen davon aus, dass die Jungspunde eh alle viel schneller sind als wir und beschliessen deshalb, als letzte aufzubrechen.

Diese Etappe ist, was den Weg betrifft, das absolute Highlight unserer viertägigen Tour von Gjirokastër nach Përmet. Ein richtiger Wanderweg!

Erst schlängelt er sich am Rand einer Schlucht zwischen Kalksteinfelsen hoch. Zeitweise könnte man meinen, man befinde sich im Schweizer Jura…

sogar die Wanderwegmarkierungen sind gleich.

Wir geniessen die Wanderung und sind froh, dass sich die Sonne nur ab und zu zeigt. So ist es nicht allzu heiss.

Alle paar Meter bleiben wir wegen einer neuen botanischen Sensation stehen, oder wegen anderen Sehenswürdigkeiten wie dieser

und trotzdem haben wir unsere „Vorläufer“ bald eingeholt.

Nach dem ersten Anstieg kommen wir auf eine Hochebene, offensichtlich eine Alp.

Jedenfalls gehen wir an drei Hütten vorbei.

sie scheinen ziemlich zerfallen,

aber zumindest bei einer ist ein Mann am Arbeiten. Vielleicht bereitet er die Hütte auf die Alpsaison vor.

Nach einem weiteren kurzen Aufstieg stehen wir auf dem Pass, auf immerhin 1400 Meter über Meer

Natürlich liegt hier oben kein Schnee; die Befürchtung des alten Schäfers („Katër ditë“) hat sich also nicht bewahrheitet – man kommt nach Përmet, ohne dass man durch Tiefschnee stapfen muss.

Nun gehts abwärts – und wie!

Der Weg ist steil, er verläuft durchs Geröll, ist rutschig. Mühsam zum Laufen, aber was solls, wir haben ja Zeit. Und irgendwann wirds sicher besser.

Ja, irgendwann. Aber wann?

Da unten, rund 1200 Höhenmeter tiefer, liegt Permet. Da wollen wir hin.

Es wird ein langer und anstrengender Abstieg, der Weg ist fast durchgehend steil und rutschig. Zum Glück werden wir immer wieder von neuen Pflanzen-Entdeckungen abgelenkt, wie etwa die wilde Pfingstrose

oder die ebenso wilde Tulpe

Endlich wird das Gelände flacher, der Weg etwas angenehmer – bis auf einige Stellen, wo wir durch den Morast waten müssen.

Ich bin inzwischen hundemüde und könnte fast im Stehen einschlafen. Noch drei, vier Kilometer durchhalten, erst runter ins Dorf Lëus, und dann sind wir schon bald in Përmet.

Vor uns glöckelt es. Aha, eine Schafherde. Möglicherweise mit Hund. Und hoffentlich mit einem Schäfer.

Vorerst sehen wir nur Schafe. Reto ruft laut „Hallo“ und „Përshendetje“, um auf ums aufmerksam zu machen. Ausser den Schafen regt sich nichts. Wir gehen weiter hinter den Schafen her, die angesichts der Eindringlinge langsam etwas nervös wirken. Da fällt uns weiter vorne ein heller Fleck auf.

Ein Hund? Oder nur ein Stein?

Wir pirschen uns möglichst lautlos näher an den Fleck heran – – – es ist ein Hund, und er schläft tief und fest.

Sofort treten wir den Rückzug an. Wenn der Hund jetzt aufwacht und uns mitten in seiner Herde stehen sieht… wir wollen gar nicht wissen, wie er reagieren würde, nach allem, was wir schon über albanische Hirtenhunde gehört und gelesen haben.

Wir bringen möglichst rasch möglichst viele Meter zwischen uns und die Herde und setzen uns erst mal hin. Reto findet, eine Pause, etwas essen und trinken täte uns eh gut, ich bin eher im Panikmodus und finde essen und trinken im Moment eher abwegig…

Jedenfalls sitzen wir irgendwo in der Wildnis und beratschlagen, was zu tun sei.

Uns durch die (Dornen-)Büsche schlagen und die Herde umrunden? – Zu schmerzhaft, ausserdem wissen wir nicht, wie weit wir überhaupt kommen würden.

Zurück, den Berg hoch, bis zur letzten Abzweigung, und dann den anderen Weg nehmen? – diese ist einige hundert Höhenmeter über uns; erschöpft, wie wir sind, schaffen wir das nicht mehr.

Ein paar hundert Meter zurück, an einem Bauernhof vorbei, wo uns womöglich weitere Hunde auflauern, und dann runter auf die Hauptstrasse, die vor Përmet einen grossen Bogen macht? – das wären im Minimum 10 Kilometer mehr…

Darauf warten, dass es dunkel wird und die Schafe samt Hund nach Hause gehen? – es ist erst vier Uhr nachmittags, das dauert also noch über dreieinhalb Stunden. Und dann in der Dunkelheit den Weg nach Përmet suchen – nein danke!

Wir suchen auf Google Earth mögliche Schleichwege, auf andern Apps ebenfalls – nichts. Es ist zum Verzweifeln.

Beim Runterlaufen habe ich noch darüber sinniert, dass ich inzwischen im Umgang mit Hunden viel lockerer geworden sei. Allerdings sind uns in den letzten vier Tagen auch nicht gerade Heerscharen von Hunden begegnet, und schon gar keine Herdenhunde.

Der einzige, der mir ein bisschen hätte Angst machen können, war ein grosser grauer Hund in Sheper, der uns erst mit beeindruckender Stimme anbellte, sich dann aber ganz schnell hinter einem grossen Einfahrtstor versteckte…

Und jetzt gerate ich wegen eines schlafenden Hirtenhundes in Panik. Das kann es doch nicht sein!

So langsam beginnen sich die Gedanken in meinem Kopf wieder zu ordnen, und ich komme zum Schluss, dass so ein Hirtenhund auch nur ein Hund und somit bezwingbar ist.

Mein Entschluss steht fest; Wir gehen jetzt da durch, Hund hin oder her. Notfalls bekommt er eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Okay, das mit dem Pfefferspray könnte schwierig werden, denn uns bläst ein recht starker Gegenwind entgegen. Egal, wir schaffen das.

Reto ist gleicher Meinung, und wir ziehen los, kampfbereit, mit Stöcken, Steinen und Pfefferspray bewaffnet. Kommen zu der Stelle, an der wir umgekehrt sind –

keine Schafe zu sehen. Und schon gar kein Hund.

Wie es herumziehende Schafe halt so machen, sind auch diese inzwischen weitergezogen. Wir setzen unseren Weg fort und sehen etwas weiter vorne grade noch ein Hundefüdle zwischen den Büschen verschwinden.

Manchmal ist es halt doch am besten. die Zeit für sich arbeiten zu lassen!

Mit neuer Energie steuern wir Lëus an, wo eine alte Kirche, scheints mit uralten Fresken, steht. Wir sind gespannt und freuen uns darauf.

Die Fresken sind an der Aussenwand der Kirche, geschützt durch einen Bogengang. Und sie wären wirklich eindrücklich – wenn nicht jeder zweite Depp, der sie schon besichtigt hat, seinen Namen oder sonstwas in die Wand hätte kritzeln müssen.

uns fehlen die Worte…

In Përmet angekommen, finden wir in einem Hotel mit Restaurant ein schönes, grosses Zimmer und bekommen ein fantastisches Znacht serviert. Und rasch sind alle Anstrengungen und Schrecken vergessen 🙂

Auf den Spuren von Caro und Jasi

Samstag, 6. Mai

Auch letzte Nacht ist die Nachtigall nicht verstummt. Und offenbar haben einige Tiere unser Zelt inspiziert – keine Ahnung, welche. Aber wie es aussieht, haben wir das Zelt genau auf einem Wildwechsel platziert, und so waren wohl einige irritiert, weil sie nicht ihre gewohnte Route einschlagen konnten.

Aber mehr als ein empörtes Grunzen wars ihnen dann doch nicht wert.

Nach dem Aufstehen reservieren wir im Guesthouse Duli im übernächsten Dorf Sheper per Whatsapp ein Zimmer für heute Abend, was uns umgehend bestätigt wird. Der Preis: 70 Euro. Ziemlich viel für albanische Verhältnisse, denken wir. Normalerweise kostet ein Doppelzimmer weniger als die Hälfte. Aber die Aussicht, wieder mal in einem Bett zu schlafen, ist zu verlockend.

Wir haben Glück – ganz in der Nähe unseres Zeltplatzes befindet sich ein Brunnen, wo wir vor dem Weiterwandern immerhin eine Katzenwäsche machen können.

Auch heute ist Petrus uns wohlgesonnen, der Himmel ist blau, die Sonne scheint, besser könnte es nicht sein!

Die erste Etappe ist ganz schön steil, und wir kommen rasch ins Schwitzen. Wir sind froh, als wir im nächsten Dorf – Poliçan – ankommen, und noch mehr, als sich eines der ersten Häuser als Bar entpuppt, wo wir im Schatten eines Baumes einen feinen Espresso schlürfen können. Und gleich noch einen. Dazu serviert ums der Barbesitzer einen Liter Wasser, den er am Brunnen bei der Kirche holt. Wer Trinkwasser will, holt dieses offensichtlich beim Dorfbrunnen.

Man merkt, dass wir uns hier nahe der griechischen Grenze befinden; die Männer in der Bar reden alle griechisch. Einer will ein Gespräch mit uns beginnen, fragt „How do you do?“ Das sind ganz offenbar die einzigen englischen Worte, die er kennt, denn gleich darauf gibt er und zu verstehen, er sei Grieche und könne keine andere Sprache ausser griechisch. Und er unterhält sich nun stumm, nur mit Gesten, mit uns.

Vier Kaffee und ein Liter Wasser kosten hier übrigens 200 Lekë, weniger als zwei Franken.

Nach dem Dorf wird das Gelände flacher, das Wandern wird angenehmer.

In einiger Entfernung sehen wir im Wald eine byzanthinische Kirche. Dort wollen wir hin, für die Mittagspause. Den Weg dahin zu finden, erweist sich als nicht ganz einfach. Es hat so viele Weglein, meist verdecken uns Bäume den Blick auf die Kirche, so dass wir immer wieder die Richtung verlieren. Zudem müssen wir noch eine kleine Schlucht inklusive Bach überwinden.

Auf verschlungenen Pfaden erreichen wir die Kirche schliesslich doch noch, nicht zuletzt dank Retos feinem Gespür fürs Gelände und wie man Hindernisse am besten überwindet.

Die Kirche ist ein echtes Kleinod. Die Tür ist leider verschlossen – zu gern hätten wir einen Blick ins Innere geworfen!

Aber immerhin könnte der Platz bei der Kirche nicht idealer sein für unsere Mittagsrast. Wir sitzen auf einer steinernen Bank unter einem mächtigen Baum und geniessen es, einfach da zu sein.

Hier in der Gegend befinden sich übrigens einige uralte orthodoxe Kirchen, wie wir dank Google Earth herausgefunden haben. Nicht wenige sind noch im ursprünglichen Zustand, mit gut erhaltenen Fresken. Auch links und rechts unseres Weges wären schon ein paar gestanden. Wir haben im Internet Bilder von ihnen gefunden, es müssen echte Kunstwerke sein.

Warum wir sie nicht besuchten? Sie befinden sich allesamt weit von der Strasse entfernt in unwegsamem, steilem Gelände, und wir hätten für jede mehrere hundert Höhenmeter überwinden müssen – ohne Gewähr, dass wir sie überhaupt finden würden. Mit einem schweren Rucksack am Rücken überlegt man sich dies nicht nur zweimal… und wir haben jeweils mit grossem Bedauern verzichtet.

Wir vermuten, dass gerade die sehr abgelegenen Standorte die Kirchen gerettet haben. Als der Diktator Enver Hoxha sämtliche Religionen verbot, liess er auch die Kirchen und Moscheen entweder abreissen oder umnutzen. Die Gotteshäuser weitab der Dörfer wurden dabei wohl einfach „vergessen“.

Die Kirchen in den Dörfern sehen zwar von weitem sehr ursprünglich aus, aus der Nähe erkennt man aber, dass sie recht neu sind – nach altem Vorbild wieder aufgebaut. Wie auch jene von Poliçan.

Nun gehts die paar Kilometer bis zum Dorf Sheper recht flach weiter – ein Genuss! Und die Landschaft ist wunderschön.

Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Wegweiser. Sie stehen mit Vorliebe bei Abzweigungen und sorgen bei uns mehr als einmal für Verwirrung.

Zeigt der Pfeli nach links, heisst das noch lange nicht, dass man nun nach links abzweigen muss. Es kann genau so gut bedeuten, dass man geradeaus weitergehen soll.

Bis jetzt haben wir nicht herausgefunden, wann was gilt. Zum Glück gibts Google Maps – das ist im Zweifelsfall zuverlässiger!

Kurz vor Sheper machen wir etwas oberhalb der Strasse nochmals Rast. Hinter uns kommen von rechts sechs oder sieben Kühe den Hang hinunter, die Leitkuh voran, die anderen, wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, hinterher. Sie laufen ein paar Meter von uns entfernt an uns vorbei auf die Strasse hinunter und weiter nach links. Offensichtlich wollen sie den Bach überqueren, um auf die Wiese unterhalb der Strasse zu gelangen. Gemessenen Schrittes schreitet die Leitkuh voran. Da dreht sie den Kopf, bemerkt uns, und bleibt bockstill stehen. Die anderen hinter ihr ebenfalls. Die Leitkuh macht Anstalten, weiterzugehen, nach einem halben Schritt bleibt sie wieder stehen, schaut genauer hin. Da oben stimmt etwas nicht!

Wir rühren uns nicht. Die Kühe ebenfalls, eine gefühlte Ewigkeit.

Wer hält es länger aus?

Schliesslich dreht sich die Leitkuh zu den anderen um, als wollte sie sie fragen, was nun zu tun sei. Sie wissen es offenbar auch nicht. Ans Weitergehen ist nicht zu denken, also stehen alle unschlüssig herum. Auch, als wir schliesslich aufstehen und weitergehen. Offenbar haben wir durch unsere blosse Anwesenheit ihren Sinn für Ordnung, oder was auch immer, nachhaltig gestört.

Endlich kommen wir im Guesthouse an. Eine sehr herzliche ältere Dame empfängt uns, bietet uns gleich Kaffee an. Sie spricht nur albanisch und italienisch, wir verstehen beides schlecht. Es kommt zu diversen Missverständnissen. Sie redet vom Nachtessen, wir verstehen Morgenessen, sie zeigt uns die kleine Küche, wir denken, dass wir dort kochen können. Später kommt aus, dass sie da kocht. Für alle, etappenweise.

Ich schreibe Caro, wo wir sind, und da kommt aus: Vor fast genau einem Jahr waren sie und Jasi auch dort! Sie sind damals die selbe Strecke gegangen wie wir, nur in die entgegengesetzte Richtung.

Das zu wissen, macht den Aufenthalt im Guesthouse Duli gleich doppelt so schön.

Inzwischen haben wir übrigens herausgefunden, dass die 70 Euro für zwei Personen mehr als gerechtfertigt sind: Im Preis inbegriffen sind nämlich ein sehr reichhaltiges, superleckeres Nachtessen, das Morgenessen und eine Wegzehrung für die Weiterreise morgen.

unser Znacht