
Sonntag, 7. Mai
Ausser uns haben rund zehn andere WandererInnen im Guesthouse übernachtet – sie sind alle wesentlich jünger als wir – und alle wollen heute nach Përmet weiterwandern.
Wir gehen davon aus, dass die Jungspunde eh alle viel schneller sind als wir und beschliessen deshalb, als letzte aufzubrechen.
Diese Etappe ist, was den Weg betrifft, das absolute Highlight unserer viertägigen Tour von Gjirokastër nach Përmet. Ein richtiger Wanderweg!
Erst schlängelt er sich am Rand einer Schlucht zwischen Kalksteinfelsen hoch. Zeitweise könnte man meinen, man befinde sich im Schweizer Jura…


sogar die Wanderwegmarkierungen sind gleich.

Wir geniessen die Wanderung und sind froh, dass sich die Sonne nur ab und zu zeigt. So ist es nicht allzu heiss.
Alle paar Meter bleiben wir wegen einer neuen botanischen Sensation stehen, oder wegen anderen Sehenswürdigkeiten wie dieser

und trotzdem haben wir unsere „Vorläufer“ bald eingeholt.
Nach dem ersten Anstieg kommen wir auf eine Hochebene, offensichtlich eine Alp.

Jedenfalls gehen wir an drei Hütten vorbei.

sie scheinen ziemlich zerfallen,

aber zumindest bei einer ist ein Mann am Arbeiten. Vielleicht bereitet er die Hütte auf die Alpsaison vor.

Nach einem weiteren kurzen Aufstieg stehen wir auf dem Pass, auf immerhin 1400 Meter über Meer

Natürlich liegt hier oben kein Schnee; die Befürchtung des alten Schäfers („Katër ditë“) hat sich also nicht bewahrheitet – man kommt nach Përmet, ohne dass man durch Tiefschnee stapfen muss.
Nun gehts abwärts – und wie!
Der Weg ist steil, er verläuft durchs Geröll, ist rutschig. Mühsam zum Laufen, aber was solls, wir haben ja Zeit. Und irgendwann wirds sicher besser.
Ja, irgendwann. Aber wann?

Da unten, rund 1200 Höhenmeter tiefer, liegt Permet. Da wollen wir hin.
Es wird ein langer und anstrengender Abstieg, der Weg ist fast durchgehend steil und rutschig. Zum Glück werden wir immer wieder von neuen Pflanzen-Entdeckungen abgelenkt, wie etwa die wilde Pfingstrose

oder die ebenso wilde Tulpe

Endlich wird das Gelände flacher, der Weg etwas angenehmer – bis auf einige Stellen, wo wir durch den Morast waten müssen.
Ich bin inzwischen hundemüde und könnte fast im Stehen einschlafen. Noch drei, vier Kilometer durchhalten, erst runter ins Dorf Lëus, und dann sind wir schon bald in Përmet.
Vor uns glöckelt es. Aha, eine Schafherde. Möglicherweise mit Hund. Und hoffentlich mit einem Schäfer.
Vorerst sehen wir nur Schafe. Reto ruft laut „Hallo“ und „Përshendetje“, um auf ums aufmerksam zu machen. Ausser den Schafen regt sich nichts. Wir gehen weiter hinter den Schafen her, die angesichts der Eindringlinge langsam etwas nervös wirken. Da fällt uns weiter vorne ein heller Fleck auf.
Ein Hund? Oder nur ein Stein?
Wir pirschen uns möglichst lautlos näher an den Fleck heran – – – es ist ein Hund, und er schläft tief und fest.
Sofort treten wir den Rückzug an. Wenn der Hund jetzt aufwacht und uns mitten in seiner Herde stehen sieht… wir wollen gar nicht wissen, wie er reagieren würde, nach allem, was wir schon über albanische Hirtenhunde gehört und gelesen haben.
Wir bringen möglichst rasch möglichst viele Meter zwischen uns und die Herde und setzen uns erst mal hin. Reto findet, eine Pause, etwas essen und trinken täte uns eh gut, ich bin eher im Panikmodus und finde essen und trinken im Moment eher abwegig…
Jedenfalls sitzen wir irgendwo in der Wildnis und beratschlagen, was zu tun sei.
Uns durch die (Dornen-)Büsche schlagen und die Herde umrunden? – Zu schmerzhaft, ausserdem wissen wir nicht, wie weit wir überhaupt kommen würden.
Zurück, den Berg hoch, bis zur letzten Abzweigung, und dann den anderen Weg nehmen? – diese ist einige hundert Höhenmeter über uns; erschöpft, wie wir sind, schaffen wir das nicht mehr.
Ein paar hundert Meter zurück, an einem Bauernhof vorbei, wo uns womöglich weitere Hunde auflauern, und dann runter auf die Hauptstrasse, die vor Përmet einen grossen Bogen macht? – das wären im Minimum 10 Kilometer mehr…
Darauf warten, dass es dunkel wird und die Schafe samt Hund nach Hause gehen? – es ist erst vier Uhr nachmittags, das dauert also noch über dreieinhalb Stunden. Und dann in der Dunkelheit den Weg nach Përmet suchen – nein danke!
Wir suchen auf Google Earth mögliche Schleichwege, auf andern Apps ebenfalls – nichts. Es ist zum Verzweifeln.
Beim Runterlaufen habe ich noch darüber sinniert, dass ich inzwischen im Umgang mit Hunden viel lockerer geworden sei. Allerdings sind uns in den letzten vier Tagen auch nicht gerade Heerscharen von Hunden begegnet, und schon gar keine Herdenhunde.
Der einzige, der mir ein bisschen hätte Angst machen können, war ein grosser grauer Hund in Sheper, der uns erst mit beeindruckender Stimme anbellte, sich dann aber ganz schnell hinter einem grossen Einfahrtstor versteckte…
Und jetzt gerate ich wegen eines schlafenden Hirtenhundes in Panik. Das kann es doch nicht sein!
So langsam beginnen sich die Gedanken in meinem Kopf wieder zu ordnen, und ich komme zum Schluss, dass so ein Hirtenhund auch nur ein Hund und somit bezwingbar ist.
Mein Entschluss steht fest; Wir gehen jetzt da durch, Hund hin oder her. Notfalls bekommt er eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Okay, das mit dem Pfefferspray könnte schwierig werden, denn uns bläst ein recht starker Gegenwind entgegen. Egal, wir schaffen das.
Reto ist gleicher Meinung, und wir ziehen los, kampfbereit, mit Stöcken, Steinen und Pfefferspray bewaffnet. Kommen zu der Stelle, an der wir umgekehrt sind –
keine Schafe zu sehen. Und schon gar kein Hund.
Wie es herumziehende Schafe halt so machen, sind auch diese inzwischen weitergezogen. Wir setzen unseren Weg fort und sehen etwas weiter vorne grade noch ein Hundefüdle zwischen den Büschen verschwinden.
Manchmal ist es halt doch am besten. die Zeit für sich arbeiten zu lassen!
Mit neuer Energie steuern wir Lëus an, wo eine alte Kirche, scheints mit uralten Fresken, steht. Wir sind gespannt und freuen uns darauf.
Die Fresken sind an der Aussenwand der Kirche, geschützt durch einen Bogengang. Und sie wären wirklich eindrücklich – wenn nicht jeder zweite Depp, der sie schon besichtigt hat, seinen Namen oder sonstwas in die Wand hätte kritzeln müssen.



uns fehlen die Worte…
In Përmet angekommen, finden wir in einem Hotel mit Restaurant ein schönes, grosses Zimmer und bekommen ein fantastisches Znacht serviert. Und rasch sind alle Anstrengungen und Schrecken vergessen 🙂


