Montag, 22. Mai

Das monotone Brummen der Schiffsmotoren hat eine beruhigende Wirkung, und so schlafen wir recht gut in unserer Koje. Und erwachen, als die italienische Küste schon fast in Sichtweite ist.

Wir legen kurz vor acht, also pünktlich, am Hafen in Bari an. Bis wir die Fähre verlassen können, vergeht allerdings noch eine gute Stunde. Uns kümmerts nicht, denn wir haben in weiser Voraussicht Tickets für den 11Uhr-Zug gebucht. Wir haben sogar noch Zeit für einen gemütlichen Spaziergang durch die Altstadt,

und für einen Kaffee und etwas Süsses – daran haben wir uns in Albanien gewöhnt – in einem Strassencafé.

In den letzten Tagen haben wir immer wieder die Website von Trenitalia aufgerufen und geschaut, wie viel Verspätung die Züge auf „unseren“ Linien jeweils hatten. Es war ganz unterschiedlich… Wir hoffen sehr, dass wir unsere Anschlüsse in Rom und Milano nicht verpassen und irgendwo stranden. Wenn alles gutgeht, können wir um 22.30 Uhr in Zuchwil sein.

In Bari siehts schon mal gut aus; der Zug hat einige Minuten Verspätung, aber wir sind guten Mutes, dass wir rechtzeitig in Rom ankommen.

Auf der Fahrt erleben wir – ausser Schneefall – so ziemlich jedes Wetter. Vor allem, als wir in der Nähe von Neapel sind, scheint die Welt unterzugehen. Der Himmel ist schwarzgrau, und es schüttet wie aus Kübeln.

Aber schon kurz darauf scheint wieder die Sonne, und unser Zug rast mit atemberaubender Geschwindigkeit in Richtung Rom.

So kommen wir tatsächlich rechtzeitig an und setzen uns erleichtert in den Zug Richtung Mailand. Jetzt kann ja nicht mehr viel schiefgehen – selbst wenn wir in Mailand hängenbleiben sollten, sind wir morgen in relativ kurzer Zeit daheim.

In unserem Abteil sitzt ein junger Mann. Er wirkt unglaublich nervös, und seine Begleiterin nötigt er in ein anderes Abteil.

Er legt seinen Rucksack auf den freien Sitz vis-à-vis, isst eine Unmenge Chips, schaut sich immer wieder um. Und steht plötzlich auf und ist – weg. Den Rucksack nimmt er nicht mit.

Sekunden später kommen Beamte in den Wagen, Kondukteure oder Polizei? Wir schielen zum Rucksack des jungen Mannes und fragen uns, was wäre, wenn die Beamten das Ding öffnen würden und zum Beispiel Drogen finden würden. Würden sie den Sack uns zuordnen? Würden sie uns glauben, dass er uns nicht gehört?

Die Beamten interessieren sich nicht für den Rucksack, und als sie weg sind, taucht der junge Mann wieder auf, nimmt den Sack und verschwindet wieder.

Immerhin, eine kleine Abwechslung auf der langen Reise.

Und sie ist sehr lang, unsere Zugfahrt. Immerhin, wir sind pünktlich unterwegs, und in Mailand haben wir fast eine Stunde „Schpatzig“.

Kurz vor Mailand beginnt es zu harzen. Wir stehen fünf Minuten. Dann gehts weiter, vielleicht 500 Meter. Dann stehen wir wieder. Zehn Minuten. Unser Zeitpolster schmilzt. Einer Durchsage können wir entnehmen, der Lokführer warte auf die Genehmigung, in den Bahnhof einzufahren.

Wir werden langsam nervös.

Da fährt der Zug wieder los, schon kommen Perrons in Sicht. Wir haben die Rucksäcke geschultert, stehen im Gang, bereit, loszuspurten, wenns denn nötig würde.

Da bremst der Zug wieder. und bleibt stehen, ein, zwei Kilometer vor Milano Centrale. Und bewegt sich keinen Millimeter mehr, ziemlich genau so lang, bis unser Zug Richtung Locarno abgefahren ist.

Als wir endlich angekommen sind, hoffen wir, dass der Zug wartet – in der Schweiz kommt das jedenfalls öfters vor – drängeln raus, rennen im Zickzack zwischen den Menschenmassen aufs Perron. Natürlich ist unser Zug längst weg. Und ich bekomme einen veritablen Wutanfall. Das darf doch einfach nicht wahr sein! Hueresiech!!!

Kaum sind wir ein paar Stunden weg von Albanien, ist es schon vorbei mit der albanischen Gelassenheit. Vier Wochen lang konnte mich nichts und niemand – ausser ein paar Hunden – aus der Ruhe bringen. Aber Trenitalia schaffts mit links.

Immerhin, es gibt noch einen Zug, der uns noch heute Abend nach Hause bringen kann. Es wird halt viel später, und das stinkt mir gewaltig. Aber was solls.

Wir kaufen uns zwei kleine Fläschchen Prosecco und eine Tüte Chips und machen es uns bei den Geleisen bequem. Und schauen dem Treiben um uns zu.

Da sind zwei Polizisten, sie kontrollieren die Ausweise eines völlig harmlos aussehenden älteren Paars, sicher Touristen. Wir wundern uns; warum hat die Polizei gerade die zwei herausgepickt?

Jedenfalls werden die beiden nicht verhaftet, die Polizisten gehen weiter. Und kommen schnurstracks auf uns zu! Wollen unsere Ausweise sehen! Ich bin baff, grüble aber brav meine ID aus dem Rucksack und zeige sie den Beamten. Sie bedanken sich höflich und gehen weiter.

Neben uns hat sich eine Gruppe Schwarzafrikaner niedergelassen. Die Polizisten marschieren an ihnen vorbei, ohne Notiz von ihnen zu nehmen. Sie kontrollieren sie nicht!

In dem Moment werden uns die beiden Beamten total sympathisch. Normalerweise wärs doch umgekehrt, dunkelhäutige Menschen werden misstrauisch beäugt und kontrolliert. Hier hat es die Polizei auf weisshhaarige Touristen abgesehen. So cool!

Endlich sitzen wir im Zug in die Schweiz. In Lugano steigen wir um und können bis Olten sitzen bleiben.

Da haben wir offenbar einen der älteren Züge erwischt. Die Steckdosen liefern keinen Strom, ein Fahrgast mit einem fast leeren Handy rennt verzweifelt von Steckdose zu Steckdose. Die Kondukteure – gleich drei fahren mit – entschuldigen sich wortreich.

Dann fängt das Licht an, verrückt zu spielen. Es leuchtet auf, löscht. Leuchtet auf, löscht.

Unaufhörlich. Nervig.

Die Kondukteure versuchen alles mögliche. Vergeblich. Bis einer auf die Idee kommt, die Notbeleuchtung einzuschalten. Nun haben wir zwar kaum noch Licht, aber alles ist besser als das Geblinke.

Olten. Ein letztes Mal umsteigen.

Um viertel nach eins kommen wir in Solothurn an. Fix und fertig.

Das einzige Taxi am Bahnhof schnappt uns jemand vor der Nase weg. Dann gehen wir halt zu Fuss nach Hause.

Geschafft. Todmüde. Aber egal: Wir sind zu Hause. finden sogar einen Willkommensgruss auf dem Küchentisch, von Marianne und Christoph.

So lieb!

Von admin

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