Mittwoch, 17. Mai

Heute schultern wir wieder einmal die schweren Rucksäcke. Es geht von Bogovë hoch zum Fuss des Bergs Tomorr und dann wieder runter nach Poliçan, wo wir bei „My Appartements“ ein Zimmer reserviert haben.

Kaum sind wir unterwegs, stehen auf einmal zwei riesige Hunde neben Reto – als hätten sie sich dort gerade materialisiert. Mit einem scheuen Hundeblick schauen sie zu Reto auf. Es kommt uns vor, als wollten sie sich für das unflätige Benehmen ihres Kollegen gestern entschuldigen.

Sie begleiten uns noch eine kurze Strecke. Solche Beschützer hat man immer gern um sich!

Der erste Teil des Wegs ist wenig attraktiv. Wir gehen auf einer Naturstrasse, die von etlichen Lastwagen befahren wird. Diese bringen Steinplatten von einem Steinbruch ins Tal. Die Platten werden vielerorts zum Pflästern der Strassen und Trottoirs verwendet.

In den Kurven liegen immer wieder Haufen von solchen Platten; sie sind wohl vom Lastwagen gefallen, wenn dieser zu schnell um die Kurve fuhr.

Da oben werden die Platten abgebaut.

Der Weg ist etwas langweilig, oft steil, und wir kommen gewaltig ins Schwitzen. Aber die Aussicht von hier oben ist sehr schön.

Mit Hunden haben wir heute keinen Ärger, auch in den zwei, drei Dörfern nicht, durch die wir wandern.

Die Dorfbewohner sind auf den Feldern und arbeiten. Und alle nehmen sich Zeit für einen kleinen Schwatz, auch wenn die Kommunikation schwierig ist. Offenbar sprechen viele Leute hier ein wenig italienisch, aber englisch spricht niemand.

An der Dorfstrasse von Borgullas.

Etwas abseits des Dorfes, bei den Überresten des Unabhängigkeitsdenkmals, machen wir Mittagspause.

In der Nähe steht ein Grabmal – oder ein ganzer Friedhof? Als wir näherkommen, entpuppt sich das Ding als Denkmal – für Abaz Aliu, einen schiitischen Märtyrer aus dem 7. Jahrhundert n. Chr.

Ein Märtyrer mit Napoleon-Allüren.

Oder umgekehrt – schliesslich lebte Aliu lange vor Napoleon.

Eine Türbe (eine Art Kapelle?) für Abaz Aliu steht auf dem Berg Tomorr, an dessen Fuss wir uns befinden. Scheints ist sie ein wichtiger Pilgerort für die Bektaschi, ein islamisch-alevitischer Derwischorden auf dem Balkan.

Aber diese Türbe auch zu besuchen, ist uns zu anstrengend. Rund 14 Kilometer Weg und 1700 Höhenmeter trennen uns von ihm.

Als wir beim Zmittag sitzen und um uns blicken, realisieren wir, wie viel Glück wir heute haben. Vor uns, Richtung Poliçan, hängen dunkle Wolken, und wir sehen, dass es wenige Kilometer von uns entfernt regnet.

Rechts hinter uns ist der Tomorr, wolkenverhangen. auch dort regnets. Und links hinter uns… das selbe Bild.

Und wir? Sitzen im Sonnenschein, über uns ist der Himmel strahlend blau. Besser könnte es nicht sein!

Und nun, zum Dessert, kommt der schönste Abschnitt unserer Wanderung, wir gehen auf einem uralten Weg Richtung Poliçan.

und erst, als wir schon beinahe in der Stadt sind, fängt es ganz zaghaft an zu regnen. So, als wollte Petrus uns sagen, er könnte im Fall auch anders…

Poliçan ist eigentlich ein Dorf, besteht aber fast nur aus (alten) Wohnblocks. Und am Rand des Ortes steht ein riesiges ehemaliges Fabrikareal.

Von Wikipedia erfahren wir, dass dies zu Hoxhas Zeiten eine Waffenfabrik war, und dass das Dorf um 1960 eigens dafür gegründet wurde.

Deshalb sind auch die meisten Wohnblocks etwa gleich alt.

Was uns erstaunt: Das sonst wenig attraktive Dorf verfügt über ein autofreies Zentrum, eine Art Berat-Flaniermeile im Kleinformat. Mit Beizen, Bäumen, Bänkli, Spielplatz… richtig gemütlich!

Nach einem Kaffee in einem der Beizli machen wir uns auf die Suche nach unserer Bleibe.

In Albanien sind unpräzise Adressangaben an der Tagesordnung. Das Hotel von gestern hatte zum Beispiel die Adresse: Unnamed Road, 4504 Albania.

Heute haben wir immerhin einen Strassennamen. Aber die Strasse ist lang.

Wir fangen „oben“ an. Und haben die Info, dass beim Appartement jemand auf uns warte.

Auf der anderen Strassenseite sitzt eine Frau auf einer Bank. Sie beobachtet uns aufmerksam. Winkt uns dann, deutet auf einen der Wohnblocks und hält drei Finger in die Luft.

Hier, der linke Eingang. Drei Finger, dritter Stock.

Sie selbst macht keine Anstalten, herzukommen. Sie ist offensichtlich nicht die Person, die uns die Wohnung übergeben soll.

Wir steigen die Treppe hoch. Im ersten Stock steht ein älterer Mann vor seiner Wohnung. Sagt:“Hotel“ und deutet nach oben.

Im dritten Stock ist niemand. Vor jeder Wohnungstür stehen Schuhe. Welche soll nun unsere sein? Wir schauen aus einem der „Fensterlöcher“ im Freilufttreppenhaus zur Frau auf der Bank. Sie schüttelt den Kopf, zeigt nach unten. Falsches Stockwerk.

Also einen Stock runter, Kontrollblick zur Bänkli-Frau. Sie reckt den Daumen in die Höhe.

Nur: Auch hier ist niemand. Die Bänkli-Frau bedeutet uns, wir sollen klopfen. Wir gehorchen, klopfen an ein paar Türen. Eine öffnet sich, eine Frau kommt heraus. „Hotel?“ Sie zeigt auf eine weisse Tür. Diese ist verschlossen. Wir klopfen. Nichts.

Auf unsere ratlose Geste zur Bänkli-Frau hin setzt sich diese in Bewegung. Offenbar geht sie die verantwortliche Person suchen. Kommt allein zurück.

Ich habe ja eine Telefonnummer, rufe da an. Eine Männerstimme sagt erwas in unverständlichem Englisch. Ich nehme an, er hat gesagt, er komme gleich, und wir setzen uns auf eine Bank vor dem Haus.

Zehn Minuten, zwanzig Minuten… es kommen etliche Personen vorbei, aber niemand nimmt Notiz von uns. Nur ein kleiner Junge versucht hartnäckig, mit uns ins Gespräch zu kommen, redet aber nur albanisch.

Ein etwas verschüpft wirkender junger Mann drückt sich an uns vorbei, geht in „unseren“ Wohnblock. Der wirds ja wohl nicht sein, der hätte doch etwas gesagt!

Oder doch? Ich steige wieder hoch in den zweiten Stock – und die weisse Tür steht einen Spalt offen.

Es war doch der Verschüpfte. Aber ausser dastehen und ratlos dreinschauen tut er nichts. Irgendwann kann er mir über Google Translate mitteilen, seine Mutter komme gleich.

Immerhin ist nun die Tür zum „Appartement“ – ein winziges Zimmer – offen.

Wir hieven unsere Rucksäcke rein, ich den meinen mit tatkräftiger Hilfe des kleinen Buben, der wie eine Klette an uns hängt. Erst, als Reto ihm ein 50-Lekë-Sück in die Hand drückt, beschliesst der Kleine, seine Mission sei nun etfüllt, und er verabschiedet sich.

Nun ist die Mutter des Verschüpften eingetroffen. Sie komme vom Berg Tomorr, erklärt sie mit Gesten und Hilfe des Handys und zeigt auf ihre dreckigen Schuhe. Vielleicht hat sie da ihren Garten? Einen Acker? Was auch immer.

Auf jeden Fall wird nun alles klar. Sie zeigt uns das Zimmer, das wir schon bezogen haben, wir bezahlen, sie sagt, wir sollen morgen den Schlüssel einfach dort in die Waschmaschine legen – und weg ist sie.

Die Rückansicht „unseres“ Blocks, hinter dem kleinen Haus.

Von admin

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