Auf den Spuren von Caro und Jasi
Samstag, 6. Mai
Auch letzte Nacht ist die Nachtigall nicht verstummt. Und offenbar haben einige Tiere unser Zelt inspiziert – keine Ahnung, welche. Aber wie es aussieht, haben wir das Zelt genau auf einem Wildwechsel platziert, und so waren wohl einige irritiert, weil sie nicht ihre gewohnte Route einschlagen konnten.
Aber mehr als ein empörtes Grunzen wars ihnen dann doch nicht wert.
Nach dem Aufstehen reservieren wir im Guesthouse Duli im übernächsten Dorf Sheper per Whatsapp ein Zimmer für heute Abend, was uns umgehend bestätigt wird. Der Preis: 70 Euro. Ziemlich viel für albanische Verhältnisse, denken wir. Normalerweise kostet ein Doppelzimmer weniger als die Hälfte. Aber die Aussicht, wieder mal in einem Bett zu schlafen, ist zu verlockend.
Wir haben Glück – ganz in der Nähe unseres Zeltplatzes befindet sich ein Brunnen, wo wir vor dem Weiterwandern immerhin eine Katzenwäsche machen können.

Auch heute ist Petrus uns wohlgesonnen, der Himmel ist blau, die Sonne scheint, besser könnte es nicht sein!
Die erste Etappe ist ganz schön steil, und wir kommen rasch ins Schwitzen. Wir sind froh, als wir im nächsten Dorf – Poliçan – ankommen, und noch mehr, als sich eines der ersten Häuser als Bar entpuppt, wo wir im Schatten eines Baumes einen feinen Espresso schlürfen können. Und gleich noch einen. Dazu serviert ums der Barbesitzer einen Liter Wasser, den er am Brunnen bei der Kirche holt. Wer Trinkwasser will, holt dieses offensichtlich beim Dorfbrunnen.

Man merkt, dass wir uns hier nahe der griechischen Grenze befinden; die Männer in der Bar reden alle griechisch. Einer will ein Gespräch mit uns beginnen, fragt „How do you do?“ Das sind ganz offenbar die einzigen englischen Worte, die er kennt, denn gleich darauf gibt er und zu verstehen, er sei Grieche und könne keine andere Sprache ausser griechisch. Und er unterhält sich nun stumm, nur mit Gesten, mit uns.
Vier Kaffee und ein Liter Wasser kosten hier übrigens 200 Lekë, weniger als zwei Franken.
Nach dem Dorf wird das Gelände flacher, das Wandern wird angenehmer.
In einiger Entfernung sehen wir im Wald eine byzanthinische Kirche. Dort wollen wir hin, für die Mittagspause. Den Weg dahin zu finden, erweist sich als nicht ganz einfach. Es hat so viele Weglein, meist verdecken uns Bäume den Blick auf die Kirche, so dass wir immer wieder die Richtung verlieren. Zudem müssen wir noch eine kleine Schlucht inklusive Bach überwinden.
Auf verschlungenen Pfaden erreichen wir die Kirche schliesslich doch noch, nicht zuletzt dank Retos feinem Gespür fürs Gelände und wie man Hindernisse am besten überwindet.

Die Kirche ist ein echtes Kleinod. Die Tür ist leider verschlossen – zu gern hätten wir einen Blick ins Innere geworfen!
Aber immerhin könnte der Platz bei der Kirche nicht idealer sein für unsere Mittagsrast. Wir sitzen auf einer steinernen Bank unter einem mächtigen Baum und geniessen es, einfach da zu sein.

Hier in der Gegend befinden sich übrigens einige uralte orthodoxe Kirchen, wie wir dank Google Earth herausgefunden haben. Nicht wenige sind noch im ursprünglichen Zustand, mit gut erhaltenen Fresken. Auch links und rechts unseres Weges wären schon ein paar gestanden. Wir haben im Internet Bilder von ihnen gefunden, es müssen echte Kunstwerke sein.
Warum wir sie nicht besuchten? Sie befinden sich allesamt weit von der Strasse entfernt in unwegsamem, steilem Gelände, und wir hätten für jede mehrere hundert Höhenmeter überwinden müssen – ohne Gewähr, dass wir sie überhaupt finden würden. Mit einem schweren Rucksack am Rücken überlegt man sich dies nicht nur zweimal… und wir haben jeweils mit grossem Bedauern verzichtet.
Wir vermuten, dass gerade die sehr abgelegenen Standorte die Kirchen gerettet haben. Als der Diktator Enver Hoxha sämtliche Religionen verbot, liess er auch die Kirchen und Moscheen entweder abreissen oder umnutzen. Die Gotteshäuser weitab der Dörfer wurden dabei wohl einfach „vergessen“.
Die Kirchen in den Dörfern sehen zwar von weitem sehr ursprünglich aus, aus der Nähe erkennt man aber, dass sie recht neu sind – nach altem Vorbild wieder aufgebaut. Wie auch jene von Poliçan.

Nun gehts die paar Kilometer bis zum Dorf Sheper recht flach weiter – ein Genuss! Und die Landschaft ist wunderschön.


Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Wegweiser. Sie stehen mit Vorliebe bei Abzweigungen und sorgen bei uns mehr als einmal für Verwirrung.

Zeigt der Pfeli nach links, heisst das noch lange nicht, dass man nun nach links abzweigen muss. Es kann genau so gut bedeuten, dass man geradeaus weitergehen soll.
Bis jetzt haben wir nicht herausgefunden, wann was gilt. Zum Glück gibts Google Maps – das ist im Zweifelsfall zuverlässiger!
Kurz vor Sheper machen wir etwas oberhalb der Strasse nochmals Rast. Hinter uns kommen von rechts sechs oder sieben Kühe den Hang hinunter, die Leitkuh voran, die anderen, wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, hinterher. Sie laufen ein paar Meter von uns entfernt an uns vorbei auf die Strasse hinunter und weiter nach links. Offensichtlich wollen sie den Bach überqueren, um auf die Wiese unterhalb der Strasse zu gelangen. Gemessenen Schrittes schreitet die Leitkuh voran. Da dreht sie den Kopf, bemerkt uns, und bleibt bockstill stehen. Die anderen hinter ihr ebenfalls. Die Leitkuh macht Anstalten, weiterzugehen, nach einem halben Schritt bleibt sie wieder stehen, schaut genauer hin. Da oben stimmt etwas nicht!
Wir rühren uns nicht. Die Kühe ebenfalls, eine gefühlte Ewigkeit.
Wer hält es länger aus?
Schliesslich dreht sich die Leitkuh zu den anderen um, als wollte sie sie fragen, was nun zu tun sei. Sie wissen es offenbar auch nicht. Ans Weitergehen ist nicht zu denken, also stehen alle unschlüssig herum. Auch, als wir schliesslich aufstehen und weitergehen. Offenbar haben wir durch unsere blosse Anwesenheit ihren Sinn für Ordnung, oder was auch immer, nachhaltig gestört.
Endlich kommen wir im Guesthouse an. Eine sehr herzliche ältere Dame empfängt uns, bietet uns gleich Kaffee an. Sie spricht nur albanisch und italienisch, wir verstehen beides schlecht. Es kommt zu diversen Missverständnissen. Sie redet vom Nachtessen, wir verstehen Morgenessen, sie zeigt uns die kleine Küche, wir denken, dass wir dort kochen können. Später kommt aus, dass sie da kocht. Für alle, etappenweise.

Ich schreibe Caro, wo wir sind, und da kommt aus: Vor fast genau einem Jahr waren sie und Jasi auch dort! Sie sind damals die selbe Strecke gegangen wie wir, nur in die entgegengesetzte Richtung.
Das zu wissen, macht den Aufenthalt im Guesthouse Duli gleich doppelt so schön.
Inzwischen haben wir übrigens herausgefunden, dass die 70 Euro für zwei Personen mehr als gerechtfertigt sind: Im Preis inbegriffen sind nämlich ein sehr reichhaltiges, superleckeres Nachtessen, das Morgenessen und eine Wegzehrung für die Weiterreise morgen.

unser Znacht